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Boccaccio

Boccaccio

Titel: Boccaccio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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alles hat Boccaccio
    weder aus seinen Quellen noch bei Cicero holen können, das hat
    er aus seinem Eigensten geschöp. Ihrer echt toskanischen, wit-
    zigen Grazie wegen ist gerade diese Novelle stets der Liebling
    der Florentiner gewesen und ist es heute noch.« 
    Die Boccaccio-Miszelle der Frankfurter Zeitung stellt neben der
    Würdigung des italienischen Novellisten zugleich eine Kritik an
    einer allzu einseitigen Auffassung der Renaissance dar, die sich
    in der Suche nach antiken Quellen, in Textkritik, der Rekonsti-
    tution des klassischen Lateins und in der Kanonisierung und
    Nachahmung von Musterautoren erschöp. Ein derart abstrak-
    tes gelehrtes Renaissanceverständnis mußte Hesse, dessen emp-
    findsam-romantische Dichterseele mit übergroßer Sensibilität
    die Fülle der Renaissance-Erscheinungen als Chiffren der eige-
    nen Seelennöte und einer lyrisch-romantischen Gestimmtheit
    wahrnahm, abschrecken. Und so fordert er mit Nachdruck die
    eingehende Beschäigung mit der volkssprachlichen Dicht-
    kunst, die Hinwendung der Gelehrten zu den Vulgarisierungs-
    tendenzen der Renaissance:
    »Und wem der Name der Renaissance nicht ein gelehrtes Ab-
    
    straktum ist, sondern das lebendige Bild der städtischen Kultur
    Italiens im . bis . Jahrhundert vor Augen stellt, der könnte in
    diesem Bilde wohl zur Not die genealogia Deorum und die cla-
    rae mulieres entbehren, unmöglich aber das unsterbliche Deka-
    meron.« 
    Die von der Boccaccio-Forschung wiederholt diskutierte Frage,
    ob das Dekameron autobiographische Züge widerspiegelt, hat
    auch Hesse beschäigt; allerdings läßt Hesse die Frage offen, ob
    die Rahmenerzählung Fiktion oder Realität ist, ob die Figuren
    fiktiv oder real existent sind.
    Ungeachtet dieses Problems hat Boccaccio nach Hesses Urteil
    signifikante Wesenszüge seiner Persönlichkeit in die Figur des
    Dioneo hineinprojiziert:
    »Nicht nur ist dieser Dioneo mit viel mehr Liebe und Sorgfalt
    gezeichnet und mit viel mehr individuellen Zügen ausgestattet
    als alle anderen Personen der Gesellscha, sondern er spielt auch
    die Rolle des Erheiterers, Weiberfreundes, Lustigmachers und
    unterhaltenden Schwerenöters, welche Boccaccio selbst als
    Schreiber des Dekameron übernommen hat und zu der er sich
    im Vorwort ausdrücklichst bekennt. Ferner aber scheint, so vage
    hier auch die Andeutungen sind, Dioneo als Liebhaber der
    Fiammetta, der Königin des fünen Tages, gedacht zu sein und
    damit wären viele Zweifel behoben. Denn wen wir uns unter
    dieser Fiammetta zu denken haben, wissen wir ziemlich gewiß.
    Daß eine der anmutigen Erzählerinnen des ›Dekameron‹ jenen
    Namen trägt, geht auf eines der tiefsten Jugenderlebnisse des
    Dichters zurück.« 
    Was Hesse hier noch behutsam formuliert, daß Boccaccios Lie-
    besverhältnis zur Neapolitanerin Fiammetta im Dekameron wie-
    derholt anklingt, ist durch die Forschung jetzt erwiesen. 
    Wenngleich Hesse bei der Beurteilung autobiographischer
    
    Fakten im Dekameron sich zurückhaltend zeigt, möchte er doch
    annehmen, daß die Darstellung der Geschäe, Reisen und Ge-
    pflogenheiten der Florentiner Kaufleute sowie die Kenntnisse
    über den Hafenverkehr (VIII, ) das Fazit von Boccaccios per-
    sönlichen Erfahrungen sind.
    So ist Hesse auch geneigt, die Novelle VIII,  auf Boccaccios
    eigenes enttäuschendes Liebesabenteuer zu beziehen, das den in
    seinen früheren Dichtungen leidenschalichen Frauen-Verehrer
    in seiner Satire Corbaccio zum schonungslosen Frauenverächter
    werden ließ.
    In einer kurzen Analyse dieser Novelle macht Hesse gleich-
    sam wie in einem Psychogramm das Geschehen in seinem gan-
    zen Bedeutungsgehalt evident und versucht darzulegen, wie
    sehr diese Erzählung durch stärkste Gefühlsunmittelbarkeit ge-
    kennzeichnet ist, die in erhöhter Intensität seelischen Erlebens
    und Gefühlsresonanz bei Boccaccio zum künstlerischen Aus-
    druck drängt.
    Wie schon in seiner Boccaccio-Monographie kritisiert Hesse
    auch in der Boccacdo-Miszelle die angebliche literarische wie
    moralische »Umkehr« des alternden Boccaccio und bezeichnet
    seine Corbaccio -Satire als eine der vernichtendsten literarischen
    Invektiven gegen die Frauen.
    Mit einem diese schroffe Kritik an Boccaccio mäßigenden und
    versöhnlichen Schlußakkord akzentuiert Hesse noch einmal die
    zeitlose Wirkung des Dekameron :
    »Das alles ist zum Glück nun schon über fünundert Jahre

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