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Bockmist

Bockmist

Titel: Bockmist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Hugh
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Woolfs Ansehen in der Branche für Kriegsversorgungsgüter wuchs unaufhörlich, und damit wuchs auch sein Zugang zu den VIPs, die jene Welt beherrschten – und von denen man also mit Fug und Recht sagen darf, daß sie die ganze Welt beherrschen. Sie lächelten ihm zu, man erzählte sich Witze, und er wurde zum Mitglied im St Regis Golfclub auf Long Island ernannt. Mitten in der Nacht riefen sie ihn an, und man unterhielt sich über dies und jenes. Sie luden ihn ein, in den Hamptons mit ihnen segeln zu gehen, und – wichtiger noch – sagten zu, wenn er die Einladung erwiderte. Sie schickten seiner Familie erst Weihnachtskarten, dann Weihnachtsgeschenke, und schließlich ebneten sie ihm den Zugang zu Galaveranstaltungen der Republikaner mit zweihundert geladenen Gästen, wo Themen wie das Haushaltsdefizit oder die wirtschaftliche Gesundung Amerikas heiß debattiert wurden. Je höher er aufstieg, desto mehr Verträge wurden ihm zugeschanzt und desto kleiner und intimer wurden die Abendveranstaltungen. Bis sie am Ende gar nichts mehr mit Parteipolitik zu tun hatten. Sie hatten eher mit der Politik des gesunden Menschenverstands zu tun, wenn Sie verstehen, was ich meine.
    Am Ende eines solchen Abends erzählte ein Mitwirtschaftskapitän, dessen Urteilsvermögen von einigen Litern Bordeaux leicht getrübt war, Woolf ein Gerücht, das jenem kurz zuvor zu Ohren gekommen war. Das Gerücht war so abenteuerlich, daß Woolf kein Wort davon glaubte. Er fand es sogar komisch. So komisch, daß er einen seiner VIPs bei einem ihrer mitternächtlichen Zwiegespräche mitlachen lassen wollte – und feststellen mußte, daß der andere plötzlich auflegte, obwohl Woolf so gut aufgelegt war.
    Der Tag, an dem Alexander Woolf beschloß, sich mit dem militärisch-industriellen Komplex anzulegen, sollte alles verändern. Für ihn, seine Familie und seine Firma. Die Dinge veränderten sich schnell und unwiderruflich. Aus seinem Winterschlaf erwacht, hob der militärisch-industrielle Komplex eine große träge Tatze und fegte ihn hinweg, als wäre er bloß ein Mensch.
    Man stornierte bereits unterzeichnete Verträge und zog Vertragsangebote zurück. Man trieb seine Lieferanten in den Bankrott, brachte seine Belegschaft gegen ihn auf und ließ wegen Steuerhinterziehung gegen ihn ermitteln. Über einige Monate verteilt, kaufte man die Aktien seines Unternehmens auf und stieß sie nach ein paar Stunden wieder ab, und als das noch nicht reichte, zeigte man ihn als Drogendealer an. Man ließ ihn sogar aus dem St Regis hinauswerfen, weil er am Fairway ein Grasstück nicht wieder zurückgelegt hatte.
    Alexander Woolf machte das alles nichts aus; er hatte das Licht gesehen, und das Licht war grün. Aber seiner Tochter machte es etwas aus, und das war dem Moloch bekannt. Der Moloch wußte, daß Alexander Woolf im Leben mit Deutsch als Muttersprache und Amerika als Religion angetreten war; daß er mit siebzehn Jahren Vollwaise geworden war, keine zehn Dollar sein eigen genannt, von der Ladefläche eines Lkw herab Kleiderbügel verkauft und in einem Kellerraum in Lowes, New Hampshire, sein kümmerliches Dasein gefristet hatte. Aus diesem Milieu stammte Alexander Woolf, und dorthin würde er zurückkehren, sollten die Umstände es erfordern. Für Alexander Woolf war Armut kein Fremdwort; nichts, wovor man Angst haben mußte. Zu keiner Zeit.
    Seine Tochter war da anders. Seine Tochter hatte ausschließlich große Häuser kennengelernt, große Swimmingpools, große Autos und große Behandlungen beim Kieferorthopäden, und die drohende Verarmung versetzte sie in Todesangst. Die Angst vor dem Unbekannten machte sie verwundbar, und auch das war dem Moloch bekannt.
    Ein Mann hatte ihr einen Vorschlag gemacht.
     
    »Das war’s«, sagte sie.
    »Verstehe«, sagte ich.
    Ihr klapperten die Zähne, und da merkte ich erst, wie lange wir schon so gesessen hatten. Und wieviel ich noch zu erledigen hatte.
    »Ich bring’ dich besser nach Hause«, sagte ich und erhob mich.
    Statt ebenfalls aufzustehen, krümmte sie sich auf der Bank zusammen und schlang die Arme um den Bauch, als ob sie Schmerzen hätte. Weil sie Schmerzen hatte. Als sie sprach, war ihre Stimme so leise, daß ich mich hinhocken mußte, um sie zu verstehen. Je tiefer ich mich zu ihr beugte, desto mehr senkte sie den Kopf, um mir nicht in die Augen sehen zu müssen.
    »Verurteil mich nicht«, sagte sie. »Verurteil mich nicht für den Tod meines Vaters, Thomas, das mach’ ich nämlich schon

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