Bockmist
Zeit. Nervös, aber bestrebt, es sich nicht anmerken zu lassen.
»Ich bin ein Opfer der Mode«, sagte ich. »Ich habe läuten hören, daß die in diesem Jahr total angesagt sind, und da mußte ich einfach eine haben.« Ich zog meine Jacke aus. Die Nichte war nur einen Meter weg, aber sie starrte weiterhin die andere Wand an.
»Sie können hier unmöglich eine Waffe abfeuern, Lang. Für so durchgedreht halt’ ich Sie dann doch nicht.«
Ich ballte die Jacke zur Kugel zusammen und schob die Walther in eine Falte.
»Oh, das bin ich aber«, sagte ich. »Durch und durch. Früher haben sie mich Thomas Lang, den verrückten Hund, genannt.«
»Ich glaube langsam …«
Sein Glas explodierte. Scherben flogen über den Tisch und auf den Boden. Er wurde leichenblaß.
»Mein Gott …«, stammelte er.
Rhythmus ist alles. Den hat man, oder man hat ihn nicht.
Ich hatte bei einem der knallenden Akkorde von »War« abgedrückt und nicht mehr Lärm gemacht als beim Anlecken eines Briefumschlags. Die Nichte hätte wahrscheinlich beim Auftakt gefeuert und alles vermasselt.
»Noch einen Drink?«, fragte ich und zündete mir eine Zigarette an, um den Pulvergestank zu überdecken. »Geht auf meine Rechnung.«
»War« endete noch vor Weihnachten, die drei Mädchen trollten sich von der Bühne und wurden von einem Paar ersetzt, dessen Darbietung voll und ganz von Peitschen abhing. Sie waren unübersehbar Bruder und Schwester und mußten zusammen über hundert Jahre alt sein. Wegen der niedrigen Decke war seine Peitsche nur einen Meter lang, aber er schwang sie, als wären es zehn, und karbatschte seine Schwester zu den Klängen von »We Are The Champions«. O’Neal nippte keusch an einem neuen Gin and Tonic.
»Also dann«, sagte ich und legte die Jacke auf dem Tisch wieder zurecht. »Ich will von Ihnen nur eins wissen.«
»Fahren Sie zur Hölle.«
»Das werde ich ohne Frage, und ich werde dafür sorgen, daß man Ihnen ein Zimmer reserviert. Aber vorher muß ich wissen, was Sie Sarah Woolf angetan haben.«
Er setzte abrupt sein Glas ab und drehte sich völlig entgeistert zu mir.
»Was ich ihr angetan habe? Um Himmels willen, wie kommen Sie denn darauf, daß ich ihr etwas angetan habe?«
»Sie ist verschwunden«, sagte ich.
»Verschwunden. Aha. Ich nehme an, mit diesem melodramatischen Ausdruck wollen Sie mir bedeuten, daß Sie sie nicht finden können.«
»Ihr Vater ist tot«, sagte ich. »Wußten Sie das?«
Er sah mich lange an.
»Ja, wußte ich«, sagte er. »Und mich interessiert, woher Sie das wissen.«
»Erst Sie.«
Aber O’Neal wurde langsam aufmüpfig, und obwohl ich ihm mit der Jacke auf den Leib rückte, zuckte er nicht einmal.
»Sie haben ihn umgebracht«, sagte er, halb wütend und halb erfreut. »Stimmt doch, oder? Thomas Lang, der unerschrockene Söldner des Schicksals, hat seinen Auftrag erfüllt und einen Mann erschossen. Nun, mein Bester, Ihnen ist hoffentlich klar, daß es eine Heidenarbeit werden dürfte, sich da rauszulavieren.«
»Was verbirgt sich hinter ›Graduiertenkolleg‹?«
Nach und nach wichen Wut und Freude aus seinem Gesicht. Er machte nicht den Eindruck, als ob er antworten wollte, also machte ich einfach weiter.
»Ich sag’ Ihnen, was ich unter Graduiertenkolleg verstehe«, sagte ich, »und Sie benoten meine Genauigkeit auf einer Skala von eins bis zehn.«
O’Neal rührte sich nicht.
»Vor allem hat Graduiertenkolleg für verschiedene Leute verschiedene Bedeutungen. Die eine Gruppe versteht darunter die Entwicklung und Vermarktung eines neuartigen Kampfhubschraubers. Natürlich sehr geheim. Ferner sehr unangenehm. Sehr illegal? Eher weniger. Eine andere Gruppe, und da wird’s dann langsam spannend, versteht unter Graduiertenkolleg die Inszenierung eines terroristischen Anschlags, der den Herstellern dieses Hubschraubers erlaubt, ihr Spielzeug von seiner besten Seite zu zeigen. Indem es Menschen umbringt. Woraufhin sie bei den scharenweise herbeieilenden, begeisterten Käufern ein Vermögen scheffeln können. Sehr geheim, sehr unangenehm und sehr, sehr, sehr hoch zehn illegal. Alexander Woolf bekommt Wind von dieser zweiten Gruppe, will ihr die Suppe versalzen und entpuppt sich als Nervensäge. Also beginnt die zweite Gruppe, zu der eventuell auch bislang unbescholtene Mitglieder geheimdienstlicher Brüderschaften gehören, Woolf auf Stehpartys als Drogenhändler anzuprangern, verleumdet ihn und unterwandert jede Kampagne, die er womöglich anzettelt. Als das nicht reicht, droht
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