Bodenrausch
schon ab dem zwölften Lebensjahr. Wie der »Gender Index« für Niger feststellt, bekommen die wenigsten Mädchen eine Ausbildung, die meisten aber dafür mehr Kinder, als der Boden ernähren kann. Vor fast jeder Hütte in den Dörfern sitzt mindestens eine Frau, und an jeder Frau hängt mindestens ein Kind, das gestillt werden will. Und sie ist nicht die einzige Frau ihres Ehemannes, es gibt Regionen, in denen Männer sieben Frauen heiraten und von jeder Frau sieben oder mehr Kinder bekommen. Polygamie ist erlaubt im Niger und steht im Einklang mit der Religion, die Mehrheit bekennt sich zum Islam. 5
Es sind diese erdrückenden und Frauen verachtenden Verhältnisse, die den Niger zum kinderreichsten Staat Afrikas machen. Kinderehe, versklavte Arbeiter, keine Ausbildung, Diskriminierung und Vielweiberei bilden den Nährboden für die absolute Armut des Landes. Im »Bericht über die menschliche Entwicklung« 6 des UN-Entwicklungsprogramms liegt Niger auf dem letzten von 182 Plätzen. Seine Bevölkerung wächst in einer steilen Kurve. Seit der Unabhängigkeitserklärung 1960 haben sich die Menschen im Niger um 500 Prozent auf 16 Millionen vermehrt. Fast alle leben von der Landwirtschaft, aber die gerät immer mehr unter Druck durch Dürren und Überschwemmungen. Niger liegt zu weit abseits, unsichtbar für die Kameraaugen der Weltpresse. Doch das Land zeigt wie unter einem Brennglas, wo das Problem vieler afrikanischer Staaten liegt – in den archaischen gesellschaftlichen Verhältnissen, ganz besonders südlich der Sahara. Im Niger erreicht der Zuwachs in den nächsten Jahrzehnten 300 Prozent, die Bevölkerungszahl schnellt auf 58 Millionen Menschen im Jahr 2050 hoch. Das ist der größte Zuwachs in der Region. 7
Niger ist südlich der Sahara kein Sonder- und schon gar kein Einzelfall. Je ärmer das Land, je schlechter die Ausbildung der Frauen, je geringer ihr Stand in der Familie und gegenüber ihrem Mann, desto mehr Kinder drängen sich in ihren armseligen Hütten. Im Niger sind es durchschnittlich acht, in Somalia, Angola, Jemen und Mali mehr als sieben.
Mit 37 Neugeborenen jährlich pro 1000 Einwohner liegt Afrika bei der Geburtenrate an der Weltspitze. Selbst eine Todesrate von 13 Toten jährlich pro 1000 Einwohner kann diesen Schub nicht bremsen. Unter dem Strich bleibt ein Bevölkerungswachstum von 2,4 Prozent. Das übersteigt die Werte in allen anderen Regionen der Welt. Ganz Afrika wird im Jahr 2025 voraussichtlich 1,4 Milliarden Menschen ernähren müssen. In kurzer Zeit macht der Kontinent den Sprung von heute 850 Millionen auf weit über 1 Milliarde. Bis 2050 könnten es dann 2 Milliarden Menschen sein, wenn die Prognosen der Vereinten Nationen zutreffen. Davon wird der überwiegende Teil (1,8 Milliarden) südlich der Sahara leben.
Die Wucht dieser Bevölkerungsexplosion kennt keinen Puffer. Schon heute kann der afrikanische Boden seine Menschen nicht ernähren, nur 700 Millionen werden satt. Wie soll Afrika dann in nur 40 Jahren 2 Milliarden Menschen ernähren, davon die meisten dort, wo der Hunger heute schon am größten ist, südlich der Sahara? 8
DIE ZUKUNFT HEISST STADT
Die Zukunft der Weltbevölkerung liegt in der Stadt. Der Bevölkerungsbericht der Vereinten Nationen sagt voraus, dass die Zahl der Stadtbewohner weltweit von 3,3 Milliarden (2008) bis auf 5 Milliarden im Jahr 2030 steigen wird. Das Tempo dieser Veränderung kennt kein historisches Beispiel. 9
Von Kinshasa bis Mumbai: Die Städte des Südens wachsen doppelt so schnell wie die Bevölkerung der jeweiligen Länder. Die Megacities der Zukunft entwickeln sich am schnellsten in Asien und Afrika.
Alle zwölf Monate wachsen fünf neue Städte von der Größe Pekings im Süden des Globus heran. Kinshasa, die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, einer der ärmsten Staaten der Erde, ist zurzeit die weltweit am schnellsten wachsende Stadt. Nicht anders in Asien, dort wird bis 2025 in den ärmsten Staaten die Zahl der Städter von 90 auf 150 Millionen steigen. Dhaka, die Hauptstadt von Bangladesch, könnte dann die fünftgrößte Stadt der Welt sein, mit 21 Millionen Einwohnern. 10
Ein Rückblick auf die alten Städte in Europa und Amerika zeigt, dass sich ihre Entwicklung in einem verhältnismäßig langen Zeitraum von 200 Jahren abspielte. Die nun kommende zweite Welle der Verstädterung in den Ländern des Südens wird in nur 20 Jahren ablaufen und 2 Milliarden Menschen zusätzlich in die
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