Bodin Lacht
Farbe von Clothildes Bikini erinnern, das ist ja verrückt, an keine Farbe mehr. Das saubere Grau der Zelle hat alle Farben verschluckt.
Manchmal erscheint die Gegenwart am Kontrollfenster: Ein Gesicht, ein paar Augen schauen herein und entfernen sich. Man darf das Kontrollfenster nicht bedecken.
Du hesch Bsuech, mach e chli!
FELD 61: EINE WENDUNG
Du musst nur die Laufrichtung ändern, sagte die Katze zur Maus und fraà sie.
F RANZ K AFKA
Eine ganze Stunde war vergangen, als Christine Suter daran dachte, Liliane eine Tasse Tee anzubieten. Christine hatte eine feuchte schwarze Katze, die an der Tür miaute, hereingelassen. Sie rieb sich an Lilianes Hose.
Hat Marion in der Tat so viele Details angegeben? Liliane streichelte die Katze und war kurz versucht aufzugeben und dieser Familie einem tröstenden Alltag, einem erbaulichen Weihnachtsfest zu überlassen.
Fast zu viele, mir wäre weniger lieber gewesen. Nein, Frau â¦
Hoffmann.
Frau Hoffmann, den Missbrauch hat sie nicht erfunden.
Ich glaube Ihnen. Ich habe mich geirrt, ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass Doktor Bodin, der so gut zu mir war, auf einmal ein kranker Pädophiler geworden wäre.
Menschen outen sich manchmal spät, es kann auch sein, dass Sie nur seine gute Seite kennengelernt haben.
Bodin und sie hatten sich jenseits der Worte verstanden. Er war klug und einfühlsam, unorthodox, ein unabhängiger, origineller Geist, unglücklich vielleicht, von einem ihr unbekannten Unglück getrieben, aber kein von krankhaften Sexfantasien gesteuerter Kinderschänder. Neurotisch? Wenn Bodin krank war, dann auf eine andere Weise, und man wechsle die Neurose nicht wie das Hemd. Möglich war es, dass er mit dem Alter eine tiefere Depression erlitt, das hatte auch Martin mehrmals betont. Möglich war auch, dass er sich und anderen aus purem Ulk Geschichten erzählte, die nicht ernst zu nehmen waren, dass er sich hier etwas wie eine Auszeit aus dem eigenen Leben erlaubt hatte, deshalb wurde er aber lange kein Kinderschänder.
Die Katze war ihr auf den Schoà gesprungen und beinahe hätte Liliane ihre Tasse fallen lassen. SoumSoum, rief Christine, runter! Lassen Sie sie nur, sagte Liliane, ich mag Katzen. Sie hatte ihren Tee ausgetrunken. SoumSoum fixierte sie mit ihren orangefarbenen Augen. Im Blick der Mutter flackerte Ungeduld und eine Art Angst. Diese Frau hatte Angst vor ihr, vor einer anderen Wahrheitsfindung? Lange durfte Liliane nicht mehr bleiben. Sie hob einen Stern vom Boden auf und drehte ihn in allen Richtungen. SoumSoum sprang hinunter. Es war Zeit, die Taktik zu ändern, wenn sie Bodin retten wollte.
Sie haben vermutlich recht. Ich wollte Ihnen auch nicht zu nahe treten. Bitte entschuldigen Sie. Wenn Sie gestatten, werde ich mich jetzt von Marion verabschieden und ihr alles Gute wünschen.
Christine Suter seufzte vor Erleichterung. Gut, aber machen Sie es bitte kurz. Sie haben gesehen, das Kind ist völlig durcheinander.
Die Mutter klopfte an Marions Zimmertür. Da sie keine Antwort erhielt, öffnete sie die Tür. Das Mädchen lag auf seinem Bett, Kopfhörer über den Ohren, und blätterte in einem Comic. Marion? Kannst du kurz die Dinger da weglegen?, fragte Christine. Frau Hoffmann will sich verabschieden. Das Mädchen nahm die Kopfhörer seufzend ab und warf der Mutter wütende Blicke zu. Adieu!, rief sie.
Es tut mir leid, sagte Liliane, die sich dem Bett näherte, ich wollte dich nicht belästigen. Du hast ja genug Kummer gehabt. Herr Bodin wird dir oder anderen Mädchen nie mehr wehtun. Er wird Jahre im Gefängnis bleiben.
Wie lange?
Ich weià es nicht genau. Er wird aber verurteilt, davon kannst du ausgehen. Er wird für das, was er dir angetan hat, sein Leben lang büÃen müssen. Er wird wahrscheinlich sogar selbst von anderen Gefangenen missbraucht. Kinderschänder gehören im Gefängnis zu den Insassen, die von allen gehasst und verachtet werden.
Also, sagte Marions Mutter empört, jetzt reicht es aber â¦
Etwas hatte sich in Marions Ausdruck verändert. Sie war errötet, sie zitterte und biss sich in den Finger, ihr Blick flatterte fiebrig, sie wirkte einer Explosion nahe.
Ich bringe Sie zur Tür, sagte die Mutter, und Liliane hörte, wie ihre Stimme bebte.
Mit mir, sagte Liliane schnell, hat er auch seine letzte Freundin, seinen letzten Freund verloren, er hat jetzt gar keinen Menschen mehr, der ihm glauben wird,
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