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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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Er hatte sich gern eingebildet, Evelyn bewege sich in einer anderen, erhabenen Welt, er schaute zu ihr hoch und behielt so eine für sich bequeme Distanz. Und jetzt hasste er den jungen Menschen, der er vor Kurzem noch gewesen war.
    Er sagte den Kommilitonen nur, Evelyn sei eine sehr einfühlsame Frau gewesen, sie habe sich gut in einen hineinversetzen können, nicht allein die Partituren hätte sie gut entziffert, sondern auch die Schwingungen der menschlichen Seele. Sie hätten ab und zu erwogen, einander öfter zu sehen, es sei leider immer etwas dazwischengekommen, die Zeitpläne, die Bekanntenkreise unterschieden sich. Nach den Klavierstunden hätte seine Mutter ihr gern eine Tasse Tee oder ein Häppchen angeboten, um sie mit ihren bevorzugten Gesprächsthemen (die Farbenlehre, ihr Sohn, die Vögel, die Unzuverlässigkeit der Männer) zu unterhalten, Evelyn Gorda aber habe es meistens eilig gehabt, andere Termine vorgeschoben. Welche wichtigen Geschäfte sie derart belasteten, wusste niemand. Wir glaubten, sagte er, dass sie einfach für die Proben ihrer wenigen Konzerte viel Zeit brauchte, da sie selten zwei Mal dieselben Stücke dargeboten habe.
    Er erzählte dann von ihrer Liebe zu Bachs Musik, sprach und sprach und lief dabei in das kalte Wasser, das ihren weichen Körper geschluckt hatte (falls die Gerüchte sich mit der Realität deckten), rechtzeitig konnte er sie ans Ufer ziehen und beleben, sie lagen beide im Sand und sahen den vorbeiziehenden Vögeln zu. Pass auf, du kleckerst, sagte jemand, deine Tasse. Seine Hände zitterten. Du warst verliebt in sie, sagte eine. Und Martin: Ich weiß es nicht, vielleicht, vielleicht nicht. Ich habe mich wirklich gefreut, wenn ich sie sah. Wäre ich nur gestern weitergelaufen, hundert, zweihundert Meter, hätte ich vielleicht ihre Schreie gehört, hätte ich sie retten können.
    Er aß sein Frühstück (und schämte sich ein wenig, trotz des Kummers so viel Hunger zu haben) und entschied, die Sprechstunde seines Professors zu schwänzen und dafür zu Evelyns Wohnung zu fahren.

FELD 11: DIE LEICHE
    Wahrlich ist der Mensch der König aller Tiere, denn seine Grausamkeit übertrifft die ihrige.
    L EONARDO DA V INCI
    Sie stand vor Evelyn Gordas Leiche. Der Gerichtsarzt wäre diese Kriminalbeamtin gern losgeworden, die ihm Löcher in den Bauch fragte, ungeachtet der Tatsache, dass er zurzeit weniger arbeitete und ein halbes Dutzend Leichen vor Evelyn Gorda Vorrang hatten, lauter verdächtigte Todesfälle und Vertreter des alltäglichen Elends, der Fixer, das verwahrloste Kind, der erdolchte Ausländer, und auch die Greisin fehlte nicht, die einige Tage tot in ihrer Wohnung gelegen hatte, bevor die Tochter sie entdeckte. Liliane Hoffmann sollte sich gedulden. Aber die sture Polizistin beugte sich über der Leiche und schaute sich wieder jeden Zentimeter des toten, geschundenen Fleisches an. Die Zigarettenbrandnarben, manche noch frisch auf dem Arminneren, die Striemen auf dem Rücken, die Blutergüsse auf den Beinen. Diese Frau war lang vor dem Mord misshandelt worden, freiwillig oder nicht. Eine Masochistin, die in irgendeinem Sadomaso-Club aktiv war, in jeder größeren Stadt finden die Perversen solche Nischen, um ihre Fantasien zu befriedigen. Ein banales Spiel mit tragischem Ende. Die Obduktion würde zeigen, ob sie an der Strangulation gestorben oder ertränkt worden war.
    War sie bekannt?, fragte er.
    Nur eine lokale Größe, antwortete Liliane, weder berühmt noch reich. Teilte sich eine Wohnung mit einer anderen Frau, gab ab und zu ein Konzert, ein paar Klavierstunden. Hat sie Drogen genommen?
    Steht noch nicht fest. Ende der Woche vielleicht oder später. Habt ihr euch schon in der Sadomaso-Szene umgeschaut?
    Andreas und Jurek sind dabei.
    Liliane Hoffmann stand da, versuchte, die Gedanken um ihre eigene Person in das Verlies des Unbewussten abzuschieben, um sich ganz dem geschundenen Körper zu widmen, ihre Hirngespinste aber vermischten sich mit den Mutmaßungen über die Tote, sie sah den schmalen Körper der Künstlerin und lag doch selbst nackt auf dem Seziertisch, und es war Liliane Hoffmann, die nackt rannte und sich im Schilf versteckte. Ob Evelyn Gorda ein Verhältnis mit einem Sadisten hatte oder nur mit einem eifersüchtigen und perversen Freund, und wie konnte eine so feine Frau in die Hände eines solchen Ungeheuers fallen?
    Sie

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