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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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einen Termin für nächste Woche aus, sollen wir jeden Dienstag um siebzehn Uhr festhalten? Soll ich Paula die Rechnung schicken? Martin schaute zum Himmel und wäre gern wie Nils Holgersson mit einer Wildgans abgezischt. Wir könnten einfach diese Sitzungen unterlassen, schlug er vor, da wir beide meinen, dass sie überflüssig sind. Aber Bodin sagte, man sollte wirklich seiner Mutter die Freude gönnen, für eine Psychotherapie ihres Sohnes zu zahlen. Bis ich in Urlaub fahre, sagte er, falls ich deinen Rat befolge. Nimm dir noch eine Praline.

FELD 10: IM GOLDENEN HÖRNCHEN
    [Narziss]
Erster Fischer von Port Lligat: Warum betrachtet sich denn der Junge da den lieben langen Tag im Spiegel?
Zweiter Fischer: Wenn du’s unbedingt wissen willst (spricht leiser): Er hat eine Zwiebel im Kopf.
»Zwiebel im Kopf« entspricht im Katalanischen genau dem psychoanalytischen Begriff des »Komplexes«. Wenn man eine Zwiebel im Kopf hat, kann sie jeden Augenblick aufblühen, Narziss!
    S ALVADOR D ALÍ
    Das Gespräch mit Bodin hatte Martins Stimmung gehoben und ihn hungrig gemacht. Er verschob den Gang zur Polizei und ging zuerst ins Goldene Hörnchen frühstücken, wo er einige Kommilitonen treffen würde. Er könnte seine Aussage auch am Nachmittag machen, nach der Sprechstunde von Herrn Professor Doronski, mit dem er den Aufbau seiner Masterarbeit besprechen sollte. Der Professor hatte halb ironisch, halb väterlich gelächelt, als er ihm sein Thema vorschlug. Er wusste wie Martin, dass Anemonenfische in Polyandrie leben. Nur ein Weibchen unter vielen Männchen hält sich in einer Anemone auf, und dieses Weibchen ist immer der größte Fisch. Nach dessen Tod verwandelt sich das stärkste Männchen innerhalb einer Woche in ein Weibchen. Einfach so.
    Seine Kommilitonen ließen ihre heißen Schokoladen kalt werden: Evelyn Gorda war in aller Munde. Sie wussten von seinen Klavierstunden bei ihr und dass er für sie schwärmte (hatte er nicht seine Bewunderung und seine Zuneigung für Evelyn etwas überzeichnet, um seine männliche Seite hervorzutun?). Er begann also zu erzählen, was er wusste, also praktisch nichts, und erwähnte auch den Schuss, den er in der Nähe des Tatorts gehört hatte, ich stand, sagte er, vielleicht dreihundert Meter vom Tatort, oder noch weniger, und will der Polizei den Schuss melden. Jemand unterbrach ihn: Er habe heute Morgen in einer Internetmeldung gelesen, Evelyn sei ertrunken. Man habe ihr vermutlich den Kopf ins Wasser getaucht, bis sie ertrunken sei. Diese Nachricht sei allerdings nicht von der Polizei bestätigt worden. An Martins Stelle würde er sich da raushalten, wer wisse, ob die Polizei ihn dann nicht verdächtigen würde? Einer ihrer Klavierschüler, und gerade in der Nähe … Was hast du übrigens dort gemacht? Ein Mädchen übernahm die Argumente von Martins Mutter: Die Kripo würde schneller als es ihm lieb war seine Existenz in Erfahrung bringen, sie schnüffelten sicher seit gestern in Evelyns Terminkalender, es würde nicht lang dauern, bis sie fündig würden und alle ihre Schüler aufspürten. Und käme dann die unvermeidliche Frage nach seinem Aufenthaltsort, ach dann, Martin, ist es nicht mehr so, dass du das einfach erwähnst, nein, dann gibst du es zu und machst dich damit sofort verdächtig. Gerade, wo deine Mutter in der Nähe des Tatorts wohnt!
    Erstickt? Ertrunken? Martin zitterte am ganzen Körper. Alle sprachen gleichzeitig, er hörte nur einen Geräuschbrei, kaute an seinen Nägeln. Später, als er sich ein wenig beruhigt hatte, versuchte er, die schöne und so musikalische Evelyn zu beschreiben und war überrascht, als er diesen Satz aussprach: »Wir spielten zuletzt die Prélude à l’après-midi d’un faune«, denn ihm stieg sofort der Geruch eines ihrer zahlreichen geblümten Kleider in die Nase, flüchtig nur, und schnell vom Kakaogeruch der leeren Tassen überlagert, doch so scharf, als hätte er die Nase an den Stoff gehalten. Ja, ihr Körpergeruch war leicht und doch präsent, auf angenehmste Art, der Geruch ihres Halses und die Wärme, die sie ausstrahlte und die er immer genoss, wenn sie sich ein Gutentagküsschen gaben. Sie spielte ihm die Prélude vor, und seine Freunde, die nicht wussten, dass er gerade ein Proust’sches Erlebnis nachahmte, wollten wissen, ob er etwas Besonderes

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