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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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Verschluss, er ist selbst der Tresor, wo Frage und Antwort verschmolzen sind, was die Auflösung von beiden bedeutet, was wiederum den Himmel leer macht.
    Bodin lachte und setzte sich hin. Er fingerte an seinen Socken und kratzte sich die Wade.
    Meine Stunde ist vorbei, warf der »Sohn« ein und zog seine Jacke an, man wird schon erfahren, wer sie getötet hat und warum.
    Die arme Evelyn war wirklich ein Engel. Bodins Stimme zerbrach: Auch ich hatte sie gern.
    Martin fragte ihn noch, ob er Christ sei und an die Seele glaube, er habe zum ersten Mal das Wort Gott aus seinem Mund gehört. Bodin erwiderte, aus seinem Mund kämen mit dem Alter neue Worte, das passiere denen, die sich dem Tod näherten. Wenn er zu einer christlichen Beerdigung ginge, beneide er alle, die an eine helle Welt nach dem Tod glaubten und inbrünstig ermunternde Kirchenlieder sangen, leider aber, sobald er draußen einen Fuß in das Licht der Welt setzte, alterten die Illusionen bei Sonnenlicht wie die Stinkmorchel. Arme Evelyn. Ich werde zu ihrer Beerdigung gehen.
    Martin öffnete gerade die Tür, als Bodin ihm noch hinterherwarf: Evelyn hatte einen Blick, einen Blick … den Blick der Leute, die betrachtet werden wollen. Evelyn war doch nicht eitel, wandte Martin ein. Nein, sagte Bodin, nur unsicher, ob es sie gibt! Sie gehörte zu den Frauen, die sich stets die Aufmerksamkeit der anderen sichern wollen, die den anderen brauchen als Beweis für ihre eigene Existenz. Den Blick der anderen als Lebensbescheinigung. Der eigene Blick als Falltür. Mir ist das nicht aufgefallen, sagte Martin. Ich fand sie sehr aufmerksam und um andere bemüht. Er wartete nicht auf Bodins Replik, er ahnte, wie sie ausfallen würde: Du musst noch lernen hinzuschauen, Junge, Menschen anzuschauen, die angeschaut werden wollen, und du sollst im Blick der Angeblickten viel tiefer suchen nach den vergrabenen Unglücken, die die Gier nach Rettung erzeugt haben.
    Als Martin vor dem offenen Wartezimmer vorbeilief, saß dort eine gebückte Frau mit langem grauem Haar, die aussah wie eine verdorrte Trauerweide im Winter.

FELD 17: IM ZEICHEN DES PUTZLAPPENS
    [Putzlappen]
[Aufwisch]lappen, Putzlappen, Putztuch, Scheuertuch; (österr.): Ausreibfetzen, Ausreibtuch; (schweiz., sonst landsch.): [Putz]lumpen; (nordd.): Aufnehmer, Feudel, Kodder, Plagge; (südd.): Putzlumpen; (ostmd.): [Scheuer]hader; (österr. ugs.): [Putz]fetzen; (schweiz. ugs.): Plätz; (schweiz., sonst landsch.): Lumpen; (landsch. ugs., sonst veraltet): Hudel.
    D UDEN – D AS S YNONYMWÖRTERBUCH
    Er war endlich allein. Die Patientin, die nach Martin seine Zeit in Anspruch genommen hatte, klammerte sich von Jahr zu Jahr mehr an ihn. Ihre Therapie war ein Lutscher ohne Ende, nach dem sie immer wieder lechzte. Bodin war das Lebenselixier der Frau geworden, sie wollte ihre alte Neurose (als ein vom Vater nicht anerkanntes Kind schmorte sie in einem uralten und säuerlichen Zustand des Verlassenseins) bis zu ihrem Tod zielstrebig pflegen und fördern, strebte nach einem anerkannten Opferstatus, so klappte sie jede Woche japsend eine neue Nottreppe auf, eine Feuerwehrleiter, die immer tiefer in ihr Inneres hinunterführte, da, wo sie ertrank oder verdurstete, nur dass sie sich selbst inzwischen diese Art von Kunsttod zufügte und ihren Psychotherapeuten als Lebensretter aus fiktiven Überschwemmungen und verheerenden Bränden missbrauchte. Zwei Mal in der Woche – früher sogar drei Mal! Bodin konnte sie überzeugen zu reduzieren – erfand sie neue Höllen, dichtete düstere Erinnerungen, bodenlose Albträume, ein Leiden, ohne dessen Säure sie nichts mehr war als ein unbedeutendes fahles Weib, das niemand mochte, ein wirbelloses Geschöpf mit Fischaugen und angehendem Schnurrbart. Dank ihres perversen Einfallsreichtums wurde die Therapie zum kreativen Workshop, zur Ausbildung einer Berufsfantastin. Wie in Tausendundeine Nacht erfand diese reizlose Scheherazade Albträume und Gruselgeschichten, die sie schamlos als ihre eigene Biografie angab, um ihn hinzuhalten, um ihren in grauen Flanell gehüllten Hintern auf der Patientencouch weiter hinwälzen zu dürfen. Er empfing sie nur noch mit den Worten, na, was haben wir heute Neues, und tat nur so, als machte er sich Notizen über die angeblichen Vergewaltigungsversuche ihres Halbbruders und, da der Apfel nicht weit vom Stamm fällt, über die ihres Stiefvaters, der mit

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