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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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richtigen Augenblick die Stange zu reichen. Er schluckte, schlug um sich, der Schwimmlehrer sprang. Sie nahm schließlich selbst bei ihm Kraulunterricht. Und er sah, wie sie im Sommer am Meer in ihrem roten Bikini genauso begeistert wie er nach schönen Muscheln suchte, während sein Vater im Schatten des Sonnenschirmes die Zeitung las. Und er sah, wie sie zusammen im Blausee schwammen. Die Sonne schien, das Wasser glänzte, noch war er ein Kind, das dafür geboren worden war, das Licht des Tages zu trinken, Mama kam als Erste zum Ufer, er folgte ihr und schaute, wie sie die Arme kreisen ließ, um sich aufzuwärmen, ein großer, im Sand flatternder Wasservogel, und er wusste, als er sich ihr näherte, dass er sich bald an ihrem Bauch anschmiegen konnte.
    Er fuhr schnell und musste zwei Fröschen (oder waren es zwei kleine Kröten?) ausweichen, die die Straße überquerten, obwohl sie sich schon lange in ihr Winterquartier hätten zurückziehen sollen. Er rutschte beinahe aus, schaffte es noch knapp, sich zu fangen. Sie hat sie mir bestimmt geschickt, dachte er, meine Hexen-Mutter, die alle Arten von Fröschen mochte, weil sie in ihnen Symbole für Erneuerung, neues Leben und Auferstehung sehen wollte, also für alles, was sie jetzt erneut erlebte.
    Er holte seine Badesachen und fuhr ins Schwimmbad, kraulte eine halbe Stunde gegen seine Erinnerungen an. Eine ältere Dame mit weißem Haar und weißem Badeanzug, deren flüssiges Kraulen er schon einmal bewundert hatte, schien zu seiner Linken einen Wettkampf mit ihm aufnehmen zu wollen, sie hatte für ihre kleine Größe und ihr Alter mächtige Fußschläge und geschmeidige Armbewegungen, er wusste nicht, wie viele Bahnlängen sie im selben Rhythmus absolvierten, sie drehten gleichzeitig den Kopf zur Seite des anderen und jedes Mal musste er, statt seinen Blick nach unten zu richten, das Kinn fest an die Schulter zu schrauben, den Kopf leicht erheben, um ihr gieriges Einatmen zu erhaschen. Erst bei der letzten Bahn holte er einen Vorsprung heraus und gewann die Wette, falls es eine Wette war. Als sie aus dem Wasser stiegen, grüßte sie ihn zum Abschied mit einem kleinen Winken und einem breiten Lächeln.

FELD 34: STREIT
    Ich habe dir nur die Wahrscheinlichkeit meiner These bewiesen. Aber das Wahrscheinliche ist nicht das Wirkliche. Wenn ich sage, dass es morgen wahrscheinlich regnet, braucht es morgen doch nicht zu regnen. In dieser Welt ist der Gedanke mit der Wahrheit nicht identisch.
    F RIEDRICH D ÜRRENMATT,
Der Verdacht
    Der Scheißtisch wackelt! Andreas riss ein Stück aus einem herumliegenden Pizzakarton und faltete es zusammen. Martin Vanderbeke kann diese Geschichte nicht erfunden haben, drängte Liliane, es war ihm schon peinlich genug, dass er sein Frauenoutfit preisgeben musste. Wir müssen unbedingt den Typen wiederfinden, dem er Evelyns Visitenkarte gegeben hat. Andreas begutachtete seine Faltarbeit: Klar, Liliane, der berühmte Unbekannte hat uns gerade noch gefehlt! Er stützte sich auf die Tischplatte und ließ den Tisch mal links, mal rechts wackeln. Arme Lili, du spinnst. Er kräuselte ironisch seine Lippen wie ein schlechter Schauspieler, bevor er sich hinkniete. Martin Vanderbeke könnte mit uns zusammen ein Phantombild erstellen, insistierte Liliane, der Typ ist vielleicht der angebliche Agent, den wir nicht gefunden haben. Ach ja, weil du allen Ernstes glaubst, dass er sich in einem dunklen Nachtlokal die Züge des Mannes so gut merken konnte, kam die keuchende Stimme von Andreas. Er versuchte, gleichzeitig den Schreibtisch mit der Schulter hochzuheben und den Karton unter den hinteren Schreibtischfuß zu schieben. Es besitzen vielleicht fünfhundert Leute eine Visitenkarte von Evelyn, Künstler leben nun mal von ihrer Werbung, sie beglücken jeden mit ihren Karten, sagte er. Der Herma (ein Fortschritt, dachte Liliane, schon besser als schwule Sau) will nur von sich ablenken. Mist! Es wackelt immer noch! Er bleibt bis jetzt unser einziger Verdächtiger. Verdammt, Andreas, wir haben doch nichts zu verlieren, wir müssen diesem Hinweis nachgehen. Andreas hörte ihr nicht einmal zu, riss und faltete erneut ein Stück Pappe zusammen. Solche Typen wie diese Schwuchtel, keuchte er, sind labil, ihnen ist im Affekt einiges zuzutrauen. Er schüttelte den Kopf, spielte den an Lilianes Naivität Verzweifelnden: Armes Lilichen, du bist vernarrt in das

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