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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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hinzusetzten, weißt du, mein Junge, wir wechseln einfach die Rollen, ich glaube, du bist für das schweigende Zuhören geeignet, eine seltene Begabung. Er schaute zum Himmel hin oder zum Dach gegenüber und tauchte sofort in die Mutter-Thematik ein: Seine Mutter sei Putzfrau gewesen und ein frommer Mensch, früh von seinem Vater verlassen worden, und er, Bodin, habe immer das Bedürfnis gespürt, sie zu schützen, ihr den Stolz zurückzugeben, den sie verloren hatte, und sie zu rächen. Wofür rächen? Für meinen unzuverlässigen Erzeuger, für die Beleidigungen eines ganzen Lebens. Paulas Geliebter zu sein, fragte Martin, gehörte zu diesem Racheplan? Bodin lachte: Ich wollte gewiss im Reich der Herrinnen schnüffeln, als entgegengesetzte Welt zu meiner Kindheit. Deine Mutter war in vieler Hinsicht nicht übel, ihre Extravaganz, ihre Abneigung gegen die Kirche, ihr Luxus, ihre Fantasie, dies alles war ein Gegengift gegen die Langweile, die mich mein Leben lang begleitet hat. Sie haben sich gelangweilt, Herr Doktor Bodin? Dieser kratzte sich verträumt am Kopf und kicherte: Er habe Paula eigentlich nicht geliebt, nur beobachten wollen, was eine solche Frau aus ihm machen könne, wie er selbst auf ihren Einfluss, in ihrer Aura reagieren würde. Was er wohl mit einer solchen Frau meine, wollte Martin wissen. Eine Femme du Monde, meinte er, eine stolze Frau, und du weißt es vielleicht, Martin, Stolz ist Macht, Demut ist Verlorenheit. Er sei scharf darauf gewesen, zu erfahren, was mit ihm passieren würde, falls er eine Liaison mit einer Femme du Monde einging, und dazu mit einer ziemlich durchgeknallten, aber selbstbewussten. Eine, die gut roch, die ihm nichts durchgehen ließe. Die ihn in die Schranken wies. Die ihm ihre vornehme Welt aufzwang. Etwas in mir fand es angenehm, von Paula erzogen oder eingegrenzt zu werden. Wir eckten an, stritten öfter. Hindernisse helfen einem zu erfahren, was man sich wirklich wünscht. Ich weiß jetzt, Martin, dass mich die Welt deiner Mutter gar nicht anzieht und sogar zutiefst anödet. Meine Mutter hat Sie auch nicht geliebt, sagte Martin, etwas in ihr wollte Erfahrungen mit einer gebildeten psychiatrischen Instanz sammeln, eine Art gratis Psychotherapie hat sie interessiert, aber Sie haben sie enttäuscht. Es entging ihm nicht, wie beleidigt und kindlich er klang, leider konnte er nicht an Bodins Sarkasmus heranreichen. Sie vergnügt sich zurzeit, setzte er einen drauf, mit einem jungen Musiker. Mir liegen eher weiche Frauen, erwiderte Bodin, kein Besen, nein, ich falle eher auf zerbrechliche Schönheiten wie deine Klavierlehrerin herein oder auf Frauen, die aus dem Schmerz auferstehen. Fragile Frauen, sagte Martin, ein Lichtchen im Tunnel, das hatten wir schon. Bodin aber überhörte diese Bemerkung. Ich mag es, sagte er, diesen jungen Frauen zuzuhören, sie drücken eine andere, schlichtere Wahrheit aus, sie schwätzen nicht so viel, denken weniger, aber sie sind, ihr Gewicht an Existenz ist spürbar. Deiner Mutter hätte ich zuletzt am liebsten ein Pflaster auf den Mund geklebt. Alles gewollt und künstlich bei ihr. Sie und ihre Schnickschnackwelt ödeten mich schließlich an.
    Martin spürte, wie Wut ihm die Kehle zuschnürte: Ob jemand wie Sie Evelyn für immer zum Schweigen brachte?, fragte er und versuchte, Bodins Blick einzufangen (vergeblich, der verfolgte nur die Kreise der Krähen am Himmel), ob Sie jemand sind, der das Zerbrechliche gern zerbricht? Ach, Junge, was redest du da für einen Stuss, sagte Bodin, aber wer weiß, ob sich nicht irgendein Verbrecher in unserer Gegend aufhält, ein Patient, der mir durch die Lappen gegangen ist, ein junger Mensch wie du, den ich nicht durchleuchten konnte, an manche Neurotiker kommt man schlecht ran. In diesem Fall, Martin, wird dieser Wahnsinnige seine Tat wiederholen, ich könnte mir gut vorstellen, dass der Drang ihn wieder packt. Vielleicht drückte Martins Blick auf einmal eine neue Mordlust aus, denn Bodin wechselte schmunzelnd das Thema: Du sagtest eben, deine Mutter hat einen neuen Freund? Und wer ist es? Ein Hurensohn, platzte Martin heraus. Oh, diese kleine Liaison macht dich eifersüchtig, schmunzelte Bodin, freu dich doch, dass du als Person des dritten Geschlechts normale Gefühle entwickelst. Normale Gefühle?, grinste Martin und sah fast boshaft aus. Bodin kicherte wieder: Kaugummigefühle. Von der

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