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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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Sie war für diesen Beruf ungeeignet, nicht dass sie zu zart besaitet gewesen wäre, sie war nur der Hässlichkeit überdrüssig.
    Der Barmann mit den zwei scharfen Vorderzähnen, den einige Ludwig riefen, entsprach durchaus Martins Beschreibung, und sie entschied sich am letzten Abend, einem Samstag, mit offenen Karten zu spielen und nach dem berüchtigten Franz zu fragen. Ob der Franz heute nicht kommen wollte? Sie warte auf ihn. Der Barmann machte sich daran, mit einem Geschirrtuch die Theke abzuwischen. Er zog seinen Rotz hoch und sagte desinteressiert: Keine Ahnung, wen du meinst. Und Liliane versuchte, ein ungefähres Porträt zu skizzieren. Hum, wenn du den Franz meinst, den ich glaube, kann ich dir nichts sagen, er kommt manchmal samstags, manchmal auch nicht, auch mal längere Zeit nicht: Aber vielleicht meinen wir nicht denselben Franz. Er warf Liliane einen spöttischen Blick zu: Scheint Erfolg bei den Weibern zu haben, der Franz, den ich meine. Hat er dich sitzen lassen? Schau dich um, gibt ja genug Männer hier, oder? Der fliehende Blick der Ratte, seine Art, sich mit dem Geschirrtuch die Wange zu betupfen, stießen Liliane plötzlich derart ab, dass sie begann, an ihrem Vorhaben zu zweifeln. Sie hatte ihre Zeit doch vergeudet und Martin nicht weitergeholfen. Und die Ratte schaute von der Seite auf diese unattraktive Tussi, die Abend für Abend einen Tisch besetzte und so wenig trank. Was wollte sie wirklich von Franz? Einen Job? Er selbst würde sich sowieso nicht einmischen. Sie sollte schauen, wie sie an Franz kam, von ihm würde sie keine Nummer oder Adresse erhalten. Sie roch irgendwie nach Ärger. Woher kennst du ihn?, fragte er, und was willst du von ihm? Ach, murmelte Liliane hilflos, ohne ihn anzublicken, ich muss ihn unbedingt sehen. Du musst ihn unbedingt sehen? Ja, ich brauche ihn nun mal, vielleicht kann er mir helfen. Inwiefern helfen? Helfen, geht nur mich etwas an, fügte sie leicht aggressiv hinzu. Liliane spürte, dass sie den richtigen Ton gefunden hatte. Sie machte, was sie zuerst nicht hatte machen wollen: improvisieren. Falls ich ihn treffe, soll ich ihm sagen, dass du ihn sehen willst?, fragte der Ludwig, hast du denn einen Namen? Ja, sagte Liliane, sage ihm, Lili will mit ihm sprechen, und dass ich morgen wiederkomme.

FELD 38: TUNNEL
    Wir sind, mit dem irdisch befleckten Auge gesehen, in der Situation von Eisenbahnreisenden, die in einem langen Tunnel verunglückt sind, und zwar an einer Stelle, wo man das Licht des Anfangs nicht mehr sieht, das Licht des Endes aber nur so winzig, dass der Blick es immerfort suchen muss und immerfort verliert, wobei Anfang und Ende nicht einmal sicher sind.
    F RNZ K AFKA, Im Tunnel
    Er hatte Glück, ohne Schnarcher, plärrendes Kind oder schmusendes Pärchen in seinem Erste-Klasse-Schlafabteil zu liegen, und kam gut erholt an. Er trat im eiskalten Wind auf den Bahnhofsplatz. Ein perfekt blauer Himmel über den schneeweißen Schweizer Gipfeln schien sich seiner Laune und seinen Plänen anzupassen. Er frühstückte im Bahnhofshotel, wo er auch ein paar Prospekte über die Gegend einsteckte. Der Frühstücksraum wirkte verlassen, ein schweigendes Paar, ein Mann, ein Vertreter vielleicht, ging am Nebentisch die Liste seiner Kunden durch, drei Tische weiter tippte eine junge Frau auf ihrem Laptop und nippte ab und zu von ihrem Tee. Durch die großen Fenster hatte er Aussicht auf den Platz. Es war keine Touristenzeit, und ihm gefiel der übersichtliche Platz mit seinem schwarzen Asphalt, den unbesetzten Postbussen, aus denen ein paar jungen Menschen mit ihren Rucksäcken oder Mappen ausgestiegen waren. Wahrscheinlich kamen sie aus den umliegenden Dörfern und gingen jetzt zur Schule. Er fühlte sich angekommen, auch wenn er das verlorene Dorf der Ansichtskarte noch nicht erreicht hatte, und auch wenn er nicht zu den erleuchteten Figuren gehörte, die sich einbilden, den Ort ihrer Bestimmung endlich gefunden zu haben, nein, der normale Bahnhofsplatz und der banale Frühstücksraum erschienen ihm als Vorstufe zu seinem noch nicht existierenden Lebensplan, ein Tor, über dem sich der eiskalte Himmel wölbte, ein Eintritt zu den Gipfeln am Horizont. Er beobachtete ein Mädchen mit glattem schwarzem Haar, das im Rhythmus der Musik, die in ihre verkabelten Ohren strömte, von einem Fuß auf den anderen trat. Es wiegte sich auf dem jetzt menschenleeren Platz in Ekstase.

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