Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
Vom Netzwerk:
verfolgt sie in den Bergen und … Zum Glück brachte jetzt die mürrische Marion den Nachtisch, eine einfache Schale Obst, und Bodin, der eine Banane schälte, beobachtete, wie der Saft von Blutorangen, die seine Gastgeber mit dem Messer mehr oder weniger unglücklich sezierten, in die Teller rann, und er überlegte, ob er nicht wirklich einen Krimi schreiben und mit dem Tod von Evelyn Gorda anfangen sollte, die von dem Psychotherapeuten in den Abgrund geschubst wurde, nachdem er sie zu dieser sportlichen Herausforderung überredet hatte, das Ganze als Rückblende, das Abendessen bei Suters, die Blutorangen, als erste Szene. Er hatte sich im Lauf seines Berufs so viele perverse Geschichten anhören müssen, warum sollte er nicht eine zum Besten geben?
    Wieder in seinem Zimmer, machte er gut gelaunt den Fernseher an, zappte sich durch die läppischen vier Programme, die ihm zur Verfügung standen, und schaute schließlich durchs offene Fenster auf eine mit Sternen übersäte Nacht. Kalt und schön. Eine Katze miaute in der Nähe, suchte vielleicht SoumSoum oder ein Zuhause bei dem Frost. Bodin fühlte sich jetzt ruhig, ja, schier glücklich, und hatte einen Gedanken für Martin, seinen letzten Patienten, der ihm mit liebevollem Humor in dem Spiel »Therapeut« sein Ohr lieh, für dessen Mutter Paula, die schicke Zicke, die er jetzt als seine verstorbene Frau geliehen hatte, für die tote Evelyn, die er plötzlich unter einem Mantel weißen Schnees beerdigte. Er war froh, alles hinter sich gelassen zu haben, bereute jedoch ein wenig, sich als Schriftsteller ausgegeben zu haben. Der Wein seiner Wirte hatte eben zu gut geschmeckt. Er hielt die Schriftstellerei wie die Prostitution für einen zweideutigen Beruf und hatte mit Paula oft darüber diskutiert. Vor allem Krimischreiber fand er überflüssig. Als wäre die Welt, die blutgefärbt rotiert, nicht stets voll genug von Grausamkeiten und abenteuerlichen Fakten. Nun, das Gekritzelte hatte seine verdauungsfördernden Eigenschaften, wie er es bei manchen Patienten beobachtet hatte, die sich mit Malen nicht ausdrücken konnten, dafür ihre Psychose niederschrieben. Seine Lüge war aber nicht mehr rückgängig zu machen und außerdem mehr Spiel als Lüge. Jetzt streckte der Spieler seinen Kopf durch die Fensteröffnung und tauchte ihn in die Nacht ein, unzählbare, überirdische Katzenaugen leuchteten am Himmel, leuchteten für jeden, und auch für ihn, den müden Psychotherapeuten, was für ein Glück! Er atmete die kalte Luft tief ein und empfand das kuriose Gefühl, sich der alten Welt zu entziehen und mit neuem Lebensmut aufzublasen, ein Segel, das das Boot in andere Gefilde führt. Er fühlte sich leicht, schlau und poetisch, streckte die zehn Finger, beringte sie mit Sternen, lachte. Bodin lacht, sagte er.

FELD 45: PUZZLETEILE
    Wenn die Leute mir vorwerfen, dass ich zu viel von mir spreche, so werfe ich ihnen vor, dass sie überhaupt nicht mehr über sich selber nachdenken.
    M ICHEL DE M ONTAIGNE, Die Essais
    Warum bin ich, was bin ich, fragte die schreibende Paula in ihrer eigenen Partitur (wohlwissend, dass sie sich nur die Zeit vertrieb, wohl wissend, dass die Gegenwart, in der sie schrieb, nur die tief eingesunkene Rille war, die zwei Seiten ihres Heftes trennte), und warum stellte sie sich diese nutzlosen und obsoleten Fragen, denen nur eine anachronistische Antwort folgen konnte, wenn nicht, um sich zu überzeugen, dass sie im Grunde nichts und nicht war und nicht sein konnte, also dass alles nie gewesen war, dass niemand ihren Sohn bedrohte (hatte sie überhaupt einen Sohn?) und dass Evelyn nicht ermordet worden war (hatte es Evelyn überhaupt gegeben?), dass der unverschämte Bodin Mutter und Sohn in Stich gelassen hatte (gab es Bodin überhaupt?). Bin nur eine unter Milliarden nichtigen Erdbewohnerinnen, die vor dem Rätsel des Seins stehen und Milliarden von Lösungen vorgeschlagen haben, alle leck und löcherig, an einem Puzzle übend, dessen Teile durch schlampige Spieler verloren gegangen sind. Stellte man die Teile eines neuen Puzzles wieder zusammen, verschwanden immer wieder einige unter dem Schrank, in den Töpfen, unter dem Teppich, im Boden, im Brunnen, in den Seen, unter der Erdkruste. Wer war Evelyn? Wer ist Martin? Wer bin ich und bin ich überhaupt?
    Paula Vanderbeke, geborene Neuroth, konnte Daten vorweisen, vierte

Weitere Kostenlose Bücher