Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
Vom Netzwerk:
ihr umsehen dürften. Sie dürfen, sagte sie trocken, aber ziehen Sie bitte die Schuhe aus. Sie tauschten einen schockierten Blick, aber der Ältere gab dem Jüngeren ein Zeichen und beide zogen in der Tat ihre schmutzigen Turnschuhe aus und liefen auf ihren billigen Frotteesocken herum. Sie führte sie von Raum zu Raum und diese Hanswurste spielten die Blasierten, Paula aber konnte ihre Neugier und ihr Erstaunen über den Luxus der Villa in ihren Proletenvisagen ablesen. Sie ließ sie sogar ihr Schlafzimmer betreten, widerstand dem Bedürfnis, sich hinzulegen und fragte, wozu sie ihren Sohn so dringend suchten. Herr Moser postierte sich vor dem Kamin und schaute sich ein Foto von Martin auf dem Sims an, Martin bei der Abifeier, im schwarzen Anzug mit Fliege. Der Polizist legte unregelmäßige Zähne bloß, als er sagte: Wie hübsch! Ihr Sohn könnte ja Modell stehen. Und Paula wurde es plötzlich unheimlich heiß, ihr Herz raste, ihre Beine gaben nach und sie musste sich doch auf das Bett setzen, als in ihren Ohren klar und musikalisch Evelyns Stimme hallte: Ich sollte für ihn Modell stehen. Ja, sie wollte sich mit einem Fotografen oder einem Maler treffen.
    Ich habe mich eben an mein Gespräch mit Frau Gorda erinnert, sagte sie, interessiert es Sie noch, mit wem sie sich treffen wollte?

FELD 46: DER RUNDWEG
    Die Natur betrügt uns nie. Wir sind es immer, die wir uns selbst betrügen.
    J EAN- J ACQUES R OUSSEAU
    In Bodins Brust schlug das Herz eines echten Touristen. Ein kariertes Flanellhemd, ein Fleecepulli, eine Skihose, Ohrenschützer, so einfach war das, und jeden Tag tauchten weiße Hügel und Gipfel im blauen Himmel auf, jeden Morgen ein Sonnenaufgang, jeden Abend ein Sonnenuntergang und dazwischen die zuverlässige Schönheit der Bergwelt. Seine Gastgeberin meinte, er sei ein Glückspilz, einen der schönsten Übergänge zum Winter habe er da erwischt. Es schneite nicht mehr und einige Büsche verloren ihre letzten roten Blätter, ästhetische Blutflecken auf dem Schnee, die Beeren, vom Frost geschwärzt, hingen noch, die Sonne streichelte weiße Hänge. Christine hatte ihm am Sonntag ein paar Schneeschuhe geliehen und ihm auf der Karte einen Rundweg gezeigt, eine bescheidene Wanderung, die, sagte sie, eine gute Einführung in die Welt der Berge darstelle und die man gefahrlos allein unternehmen könne. Und Jürgen Bodin, der noch nie solche bizarren Schläger an die Füße gebunden hatte, stützte sich mutig, wenn auch unsicher auf seine Stöcke, stolperte zwar einige Male, ohne sich aber zu verletzen, und freute sich, unter dem Anorak und dem bescheidenen Gewicht seines Rucksacks zu schwitzen, ein wahrer Sportler. Er musste sich öfter auf der Karte neu orientieren, verirrte sich aber nicht und kam stolz voran. Der Pulverschnee glitzerte, die Schönheit der Berge wirkte magisch: Hier könnte ein Getriebener zur Ruhe kommen, sich einfach dem Leben hingeben. Aus der Gegenwart knetete er zukünftige Erinnerungen: Zwei Momente dieser Tour würden ihm, dachte er, im Gedächtnis bleiben, der Augenblick, als er nach einem harten Aufstieg triumphierend die rauchenden Schornsteine über den verschneiten Dächern des Dorfes unter sich erblickte und sich dabei als einziger Mensch auf dem Berg wahrnahm, und, als zweiter Höhepunkt, der kurze Abstecher zu einer Stelle, von der seine Gastgeber ihm gestern erzählt hatten. Ein ovaler Kreis, beinahe schneefrei, weil sich tief darunter eine heiße Quelle verberge, die die Erde erwärme. Auch wenn zwei Meter Schnee fielen, schmelze er bald an dieser Stelle, hatte Herr Suter gesagt. Die Quelle, die trotz der Hartnäckigkeit des harten Winters immer siegreich zutage tritt, erfüllte Bodin mit einer zwielichtigen Faszination.
    Am höchsten Punkt seiner Rundwanderung angekommen, glaubte er, zwei Wölfe in der Ferne zu sehen, er nahm den Feldstecher, den Christine Suter ihm geliehen hatte, konnte aber nicht wirklich unterscheiden, ob es sich um verwilderte Schäferhunde handelte oder doch um Wölfe. Sie waren grau, einer etwas dunkler als der andere, ein Paar vielleicht. Wölfe? Er wünschte sich, er wäre nicht allein und könnte sich mit einem Begleiter über die Wölfe oder Hunde austauschen (gewiss nur Hunde, es gab keine Wölfe in der Schweiz, oder?), dieser Jemand würde ihm auch die Namen der Gipfel der Umgebung nennen, denn ihm

Weitere Kostenlose Bücher