Body Farm
ist nicht das einzige. Du mischst dich wirklich ein.«
»Das ist nicht meine Absicht«, sagte ich.
Lucy konnte mich mehr reizen als jeder andere Mensch. »Ist es doch. Eigentlich ist es dir gar nicht recht, daß ich hier bin.«
Ich bedauerte meine Antwort schon, bevor ich sie ausgesprochen hatte. »Das ist nicht wahr. Schließlich habe ich dich in dieses verdammte Praktikum vermittelt.« Sie starrte mich nur an.
»Lucy, es tut mir leid. Laß uns nicht streiten. Bitte.« Ich dämpfte meine Stimme und legte die Hand auf ihren Arm. Sie zog ihn weg.
»Ich muß jetzt was nachchecken.« Zu meiner Überraschung wandte sie sich abrupt ab und ging hinaus. Ich blieb allein in diesem Raum der höchsten Sicherheitsstufe zurück, und erst jetzt fiel mir auf, daß hier dieselbe nüchternfrostige Atmosphäre herrschte, die unser Gespräch angenommen hatte. Monitore zeigten ihre Farbenspiele, Kontrollampen und Digitalziffern leuchteten rot und grün, und das Surren in meinem Kopf glich dem durchdringenden weißen Rauschen in diesem Raum. Lucy war das einzige Kind meiner einzigen, verantwortungslosen Schwester Dorothy. Ich selbst hatte keine Kinder. Doch das allein erklärte meine Liebe zu meiner Nichte sicherlich nicht. Ich hatte Verständnis für diese Art von Schamgefühl in ihr, das aus Verlassenheit und Einsamkeit entstanden war, denn hinter meiner glatten Fassade litt ich unter dem gleichen Kummer. Wenn ich Lucys Wunden leckte, leckte ich damit meine eigenen. Doch das konnte ich ihr so nicht sagen. Ich ging hinaus und achtete darauf, daß die Tür hinter mir ins Schloß fiel.
Es entging Wesley nicht, daß ich ohne meine Begleiterin von meinem Rundgang zurückkam. Und Lucy erschien auch nicht mehr, um sich von uns zu verabschieden. »Was ist passiert?« fragte Wesley, als wir zur Academy zurückgingen.
»Ich fürchte, wir hatten wieder einmal eine unserer Auseinandersetzungen«, antwortete ich.
Er sah mich an. »Irgendwann erzähle ich Ihnen mal über meine Auseinandersetzungen mit Michele.«
»Sollte es einmal einen Kurs über Mutter- oder Tantenrollen geben, müßte ich ihn wohl besuchen. Eigentlich wäre das schon längst fällig gewesen. Ich habe sie nur gefragt, ob sie hier Freunde gewonnen hat. Schon wurde sie wütend.«
»Was beunruhigt Sie dabei?«
»Sie ist eine Einzelgängerin.«
Er schien verwundert. »Das haben Sie schon einmal angedeutet. Aber ehrlich gesagt, sie macht mir gar nicht den Eindruck einer Einzelgängerin.«
»Wie meinen Sie das?«
Wir hielten an und ließen einige Wagen vorbeifahren. Die Sonne stand jetzt niedrig und wärmte meinen Nacken. Wesley hatte seine Jacke ausgezogen und trug sie über dem Arm. Als wir die Auffahrt überqueren konnten, berührte er sanft meinen Ellbogen.
»Ich war vor ein paar Tagen abends im Globe and Laurel. Lucy war mit einer Freundin da. Es könnte Carrie Grethen gewesen sein, aber ich bin nicht ganz sicher. Jedenfalls schienen sie sich recht gut zu amüsieren.«
Hätte Wesley gesagt, Lucy habe ein Flugzeug entführt, wäre meine Überraschung nicht größer gewesen. »Und im Boardroom ist sie mehrmals bis spät abends gewesen. Sie sehen die eine Seite Ihrer Nichte, Kay. Und es ist immer ein Schock für Eltern oder Personen in ähnlicher Rolle, wenn sie erleben, daß es auch eine andere Seite gibt, die sie nicht kennen.«
»Die Seite, von der Sie da reden, ist mir völlig fremd«, sagte ich. Ich fühlte mich alles andere als erleichtert. Die Vorstellung, daß an Lucy etwas war, das ich nicht kannte, brachte mich nur noch mehr aus der Fassung. Wir gingen eine Weile schweigend weiter. Als wir die Lobby betraten, fragte ich ganz ruhig: »Benton, trinkt sie?«
»Sie ist alt genug.«
»Das ist mir klar«, sagte ich.
Ich wollte weiterfragen, doch die schweren Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, wurden von einer schlichten, schnellen Handbewegung Wesleys beiseite gewischt. Er griff nach dem Piepser an seinem Gürtel und las mit gerunzelter Stirn die Ziffern auf dem Display.
»Gehen wir hinunter«, sagte er, »und schauen nach, was das zu bedeuten hat.«
3
Lieutenant Hershel Mote konnte die Aufregung in seiner Stimme nicht verbergen, als Wesley ihn um 18.29 Uhr zurückrief.
»Sie sind wo?« fragte Wesley.
»In der Küche.«
»Ganz ruhig, Lieutenant Mote. Sagen Sie mir genau, wo Sie sind.«
»Ich bin in SBI-Agent Max Fergusons Küche. Ich kann das nicht glauben. So etwas habe ich noch nie gesehen.«
»Ist noch jemand da?«
»Ich bin allein hier. Bis
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