Body Farm
ich, nur scheinbar ruhig.
»Nein, Ma'am, die brauche ich nicht«, sagte der Richter und öffnete die Tür.
7
Dr. Jenrette überließ mir freundlicherweise sein Büro, als er ins Krankenhauslabor verschwand. Die nächsten Stunden verbrachte ich am Telefon.
Ausgerechnet die wichtigste Aufgabe ließ sich am leichtesten lösen. Ohne Probleme konnte Marino Mrs. Steiner dazu bewegen, ihn am Nachmittag zum Richter zu begleiten. Schwieriger dagegen gestaltete sich die Frage, wie die beiden dorthin kommen sollten, denn Marino hatte immer noch keinen Wagen.
»Warum die Verzögerung?« fragte ich ihn. »Der Scanner, den sie eingebaut haben, funktioniert nicht, dieses Scheißding«, sagte er wütend.
»Geht es denn nicht ohne?«
»Ihrer Meinung nach wohl nicht.« Ich sah auf die Uhr. »Vielleicht sollte ich Sie abholen.«
»Ja, also, ich werde schon selbst fahren. Sie hat eine ganz passable Kiste. Manche Leute sagen sogar, ein Infiniti sei besser als ein Benz.«
»Da kann man sehr unterschiedlicher Meinung sein. Ich fahre im Moment jedenfalls gerne einen Benz.«
»Sie sagt, ihr Schwiegervater hat lange so einen Benz wie Sie gefahren, und Sie sollten sich überlegen, ob Sie nicht auf einen Infiniti oder einen Legend umsteigen.«
Ich schwieg.
»Nur so ein Gedanke.«
»Kommen Sie her«, sagte ich kurz.
»Mach' ich.«
»Gut.«
Wir hängten grußlos ein. Da saß ich nun an Dr. Jenrettes mit Papieren überhäuften Schreibtisch und fühlte mich erschöpft und ungerecht behandelt. Ich hatte Marinos schlimme Zeiten mit Doris miterlebt. Ich hatte ihm geholfen, als er sich hinterher in die erschreckende Welt kurzlebiger Bekanntschaften stürzte. Und was war Marinos Dank dafür? Ständig hatte er sich ungefragt über mein Privatleben ausgelassen; meinem Ex-Mann stand er negativ gegenüber, und auch über Mark, meinen Ex-Freund, hatte er sich stets kritisch geäußert. An Lucy oder der Art, wie ich mit ihr umging, ließ er kein gutes Haar. Und meine Freunde mochte er auch nicht. Vor allem aber spürte ich, wie kalt er meiner Beziehung zu Wesley gegenüberstand. Er war rasend eifersüchtig, das war mir deutlich bewußt.
Als Dr. Jenrette und ich um halb drei wieder in Begleys Büro erschienen, war Marino noch nicht da. Mein Ärger wuchs mit jeder Minute, die verstrich.
»Wo sind Sie geboren, Dr. Scarpetta?« wandte sich der Richter über seinen tadellos aufgeräumten Schreibtisch hinweg an mich.
»In Miami«, antwortete ich.
»Sie sprechen aber gar nicht wie eine Südstaatlerin. Ich hätte Sie eher im Norden angesiedelt.«
»Ich bin im Norden aufgewachsen.«
»Vielleicht überrascht Sie das, ich auch«, sagte er. »Warum haben Sie sich hier niedergelassen?« fragte ihn Dr. Jenrette.
»Sicherlich aus den gleichen Gründen wie Sie.«
»Aber Sie sind von hier«, sagte ich.
»Meine Familie lebt seit drei Generationen hier. Mein Urgroßvater mütterlicherseits ist hier in der Gegend in einer Blockhütte zur Welt gekommen. Er war Lehrer. Väterlicherseits waren die meisten Schwarzbrenner, bis etwa Mitte unseres Jahrhunderts. Dann gab es auch noch Prediger. Ich glaube, das war's.«
Die Tür ging auf, und Marino steckte den Kopf herein.
Denesa Steiner, die Frau, deren tote Tochter der Grund für unsere Zusammenkunft war, trat hinter ihm ins Zimmer. Marino ging mit ihr ungewöhnlich aufmerksam und liebenswürdig um - ausgerechnet er, der sonst beileibe nicht die Ritterlichkeit in Person war. Der Richter erhob sich, und aus Gewohnheit ich ebenfalls, während Mrs. Steiner uns mit einer Mischung aus Trauer und Neugier ansah.
»Ich bin Dr. Scarpetta.« Ich gab ihr die Hand. Die ihre war kühl und weich. »Die Angelegenheit hier tut mir furchtbar leid, Mrs. Steiner.«
»Ich bin Dr. Jenrette. Wir kennen uns vom Telefon.«
»Wollen Sie nicht Platz nehmen?« fragte der Richter in ausgesucht freundlichem Ton zu ihr.
Marino rückte zwei Stühle dicht zusammen, bot ihr den einen an und setzte sich auf den anderen. Mrs. Steiner war Mitte bis Ende Dreißig und ganz in Schwarz gekleidet. Der weite Rock reichte ihr über die Knie, die Strickjacke war bis zum Kinn hinauf zugeknöpft. Sie trug kein Make Up und als einzigen Schmuck einen schlichten goldenen Trauring. Ein wenig wirkte sie wie eine altjüngferliche Missionsschwester, doch je länger ich sie ansah, desto mehr erkannte ich von dem, was sie hinter ihrer puritanischen Attitüde nicht zu verbergen vermochte. Mit ihrer glatten blassen Haut, einem vollen Mund, hohen Backenknochen
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