Body Farm
Obduktionsbericht zum Fall Max Ferguson, während ich alle Berichte zum Mordfall Emily Steiner sowie alle Laboranfragen und alle Telefonnotizen durchsah. Emilys Mutter Denesa hatte, nachdem die Leiche ihrer Tochter gefunden worden war, ein- bis fünfmal täglich bei Dr. Jenrette angerufen. Das fand ich ziemlich ungewöhnlich.
»Der Tote wurde in einem von der Black Mountain Police versiegelten schwarzen Plastiksack angeliefert. Die Siegelnummer lautet 445337. Das Siegel ist unverletzt«, diktierte Jenrette gerade.
»Dr. Jenrette?« unterbrach ich ihn.
Er nahm den Fuß von der Fußtaste seines Diktiergeräts. »Nennen Sie mich Jim«, sagte er noch einmal.
»Anscheinend hat Emilys Mutter Sie ungewöhnlich häufig angerufen.«
»Ein paarmal war ich nicht da, und dann rief sie wieder an und wieder. Aber es stimmt.« Er nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. »Sie hat viel angerufen.«
»Warum?«
»Vor allem war sie einfach fürchterlich außer sich, Dr. Scarpetta. Sie wollte sicher sein, daß ihre Tochter nicht gelitten hat.«
»Und was haben Sie ihr gesagt?«
»Ich sagte ihr, daß das mit so einer Schußwunde eher unwahrscheinlich ist. Ich meine, sie muß bewußtlos gewesen sein... jedenfalls ist es wahrscheinlich, daß sie es war, als die anderen Dinge passierten.« Er hielt für einen Moment inne. Wir beide wußten, daß Emily gelitten hatte. Es mußte der nackte Terror gewesen sein, und von einem bestimmten Punkt an mußte sie gewußt haben, daß sie sterben würde.
»Und das ist alles?« fragte ich. »Sie hat so oft angerufen, nur um zu erfahren, ob ihre Tochter gelitten hat?«
»Nein, nein. Sie hat Fragen gestellt und uns auch Informationen gegeben. Allerdings keine von besonderer Bedeutung.« Er lächelte traurig. »Ich glaube, sie brauchte einfach jemanden zum Reden. Sie ist eine nette Frau, die alles in ihrem Leben verloren hat. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mit ihr fühle und wie sehr ich bete, daß dieses entsetzliche Monster gefaßt wird, das ihr das angetan hat. Dieses Monster namens Gault, von dem ich gelesen habe. Die Welt ist nicht sicher, solange er frei herumläuft.«
»Die Welt wird nie sicher sein, Dr. Jenrette. Aber ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie wichtig es auch für uns ist, ihn zu fassen. Gault zu fassen. Alle zu fassen, die solche Dinge tun«, sagte ich und öffnete gleichzeitig einen dicken Umschlag mit 20 x 26 Hochglanzfotos. Nur eines von ihnen war mir nicht bekannt, und ich betrachtete es lange und eingehend, während Dr. Jenrette mit gleichmütiger Stimme sein Diktat fortsetzte. Ich wußte nicht, was das zu bedeuten hatte, denn so etwas hatte ich noch nie gesehen. Meine Reaktion war eine Mischung aus Erregung und Angst. Das Foto zeigte Emily Steiners linke Gesäßbacke mit einem unregelmäßigen bräunlichen Fleck, nicht größer als ein Flaschenverschluß.
»Das Lungenfell weist verstreute Petechien entlang den Interlöbarspalten - «
»Was ist das hier?« unterbrach ich Jenrette erneut bei seinem Diktat.
Er legte das Mikrofon beiseite, als ich zu ihm an den Schreibtisch trat und ihm das Foto vorlegte. Ich deutete auf die Stelle auf Emilys Haut. Old Spice stieg mir in die Nase und erinnerte mich an meinen Ex-Mann Tony, der immer zuviel davon benutzt hatte.
»Dieser Fleck auf dem Gesäß taucht in Ihrem Bericht nicht auf«, sagte ich.
»Ich weiß nicht, was das ist«, erwiderte er ohne eine Spur von Defensive. Er klang bloß müde. »Ich habe lediglich angenommen, daß es sich um eine post mortem entstandene künstliche Veränderung handelt.«
»Solche Artefakte kenne ich nicht. Haben Sie sie reseziert?«
»Nein.«
»Ihr Körper hatte auf einem Gegenstand gelegen, der diesen Fleck hinterlassen hat.« Ich kehrte zu meinem Stuhl zurück, setzte mich und stützte mich auf die Schreibtischkante. »Es könnte wichtig sein.«
»Ja, wenn das der Fall ist, könnte ich feststellen, wie wichtig es sein könnte«, antwortete er. Er wirkte zunehmend niedergeschlagen.
»Sie ist noch nicht lange unter der Erde.« Ich sagte das ruhig, aber nicht gefühllos. Er starrte mich unbehaglich an.
»Besser wird ihr Zustand jedenfalls nicht mehr werden«, fuhr ich fort. »Ich meine wirklich, wir sollten sie uns noch einmal anschauen.«
Ohne zu blinzeln, befeuchtete er sich die Lippen.
»Dr. Jenrette«, sagte ich, »holen wir sie jetzt gleich heraus.«
Dr. Jenrette drehte sein Adressenkarussell und griff nach dem Telefon. Ich sah ihm zu, wie er wählte.
»Hallo, hier
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