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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Hinter der eingeschlagenen Verglasung der Ikone fand sich am Morgen, wie man sagte, eine lebendige Maus. Heute, vier Monate später, weiß man definitiv, daß das Verbrechen von dem Zuchthäusler Fedjka begangen wurde, aber aus irgendeinem Grunde wird auch Ljamschin als Beteiligter genannt. Damals hatte niemand Ljamschin erwähnt, geschweige denn ihn verdächtigt. Jetzt aber behaupten alle, daß er es gewesen wäre, der damals die Maus hineingesetzt hätte. Ich erinnere mich, daß unsere ganze Obrigkeit ein wenig ratlos war. Vom frühen Morgen an sammelte sich das Volk an dem Schauplatz des Verbrechens, die Menschen blieben stehen, zwar nicht unübersehbar viele, aber immerhin etwa hundert. Die einen kamen, andere gingen. Die Neuhinzutretenden schlugen das Kreuz und küßten die Ikone; die Menschen begannen zu spenden, schon war eine Opferschale da, bei der Opferschale ein Mönch, und erst gegen drei Uhr mittags fiel der Obrigkeit ein, daß man dem Volk befehlen könne, nicht in Scharen stehenzubleiben, sondern, nachdem man gebetet, die Ikone geküßt und geopfert hätte, sogleich weiterzugehen. Dieser unsägliche Vorfall machte auf von Lembke einen denkbar deprimierenden Eindruck. Julija Michajlowna soll sich, wie mir berichtet wurde, später dahingehend geäußert haben, daß sie seit diesem unheilverkündenden Vormittag an ihrem Gatten jene sonderbare Niedergeschlagenheit bemerkt hätte, die ihn auch weiterhin nicht verlassen habe, bis zu seiner Abreise vor zwei Monaten aus unserer Stadt, krankheitshalber, und die ihn anscheinend auch jetzt in der Schweiz begleite, wo er immer noch, nach seinem kurzen Gastspiel in unserem Gouvernement, sich erholen müsse.
    Ich erinnere mich, daß ich damals, gegen zwölf Uhr mittags, auf den Marktplatz kam; die Menge war stumm, die Gesichter ernst und finster. Ein Kaufmann, fettleibig und gelb, fuhr in einer Droschke vor, kletterte aus dem Wagen, verneigte sich bis zur Erde, küßte die Ikone, spendete einen Rubel, stieg ächzend wieder in den Wagen und fuhr davon. Dann hielt eine Equipage mit zweien unserer Damen in Begleitung von zweien unserer Spaßvögel. Die jungen Herren (einer durchaus nicht mehr jung) stiegen ebenfalls aus und drängten sich bis zu der Ikone vor, wobei sie das Volk ziemlich rücksichtslos zur Seite schoben. Beide hatten ihre Hüte auf dem Kopf behalten, und der eine setzte sich sein Pincenez auf. Unter dem Volk erhob sich ein Murren, freilich nur dumpf, aber unfreundlich. Der Held mit dem Pincenez suchte aus seinem Portemonnaie, das mit Banknoten prall gefüllt war, ein kupfernes Kopekenstück heraus und warf es in die Opferschale. Darauf gingen beide lachend und laut sprechend wieder zu ihrer Equipage. In diesem Augenblick sprengte plötzlich Lisaweta Nikolajewna herbei, gefolgt von Mawrikij Nikolajewitsch. Sie saß ab, warf ihrem Begleiter, der auf ihren Befehl im Sattel geblieben war, die Zügel zu und trat vor die Ikone, gerade in dem Augenblick, als die Kopeke in die Opferschale fiel. Zornesröte bedeckte ihre Wangen; sie setzte ihren runden Hut ab, zog die Handschuhe aus, fiel vor der Ikone auf die Knie, mitten auf das schmutzige Trottoir, und verneigte sich andächtig dreimal bis zur Erde. Dann zog sie ihr Portemonnaie heraus, und da sie darin nur wenige Silbermünzen fand, nahm sie augenblicklich ihre Brillantohrringe ab und legte sie in die Opferschale.
    »Darf ich? Darf ich? Für den Schmuck am Gewand?« fragte sie in höchster Erregung den Mönch.
    »Es ist gestattet«, antwortete er, »jede Gabe ist gottgefällig.«
    Das Volk schwieg, ohne Mißbilligung oder Beifall zu äußern; Lisaweta Nikolajewna saß auf und sprengte in ihrem beschmutzten Kleid davon.
    II
    ZWEI Tage nach dem soeben geschilderten Vorfall begegnete ich ihr inmitten einer großen Gesellschaft, die in drei Equipagen, umgeben von Reitern, irgendwohin unterwegs war. Sie winkte mir mit der Hand, ließ halten und bestand darauf, ich müsse mich der Gesellschaft anschließen. In ihrer Equipage war noch Platz für mich, sie stellte mich lachend ihren Begleiterinnen, prachtvoll gekleideten Damen, vor und erklärte mir, daß man sich gerade auf einer außerordentlich interessanten Expedition befinde. Sie lachte und schien irgendwie über das Maß hinaus glücklich zu sein. In der allerletzten Zeit hatte sie sich fast ausgelassen gegeben. In der Tat, man hatte sich etwas Exzentrisches vorgenommen. Man wollte auf das andere Flußufer fahren, zum Haus des Kaufmanns Sewastjanow, in dessen

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