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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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trug: »Der französisch-preußische Krieg«. Es begann mit den gewaltigen Klängen der Marseillaise :
    Qu’un sang impur abreuve nos sillons!
    Eine hochtrabende Herausforderung war zu hören, der Rausch künftiger Triumphe. Aber plötzlich, zwischen den meisterhaft variierten Takten der Hymne, irgendwo abseits, unten, irgendwo in einem Winkel, aber doch ganz nahe, ertönte die armselige Melodie O mein lieber Augustin! Die Marseillaise überhört sie, die Marseillaise erreicht den höchsten Gipfel ihres Rausches; aber der »Augustin« wird immer kräftiger, der »Augustin« wird immer dreister, und schon hält der »Augustin« irgendwie unerwartet Schritt mit der Marseillaise. Nun ist sie gleichsam ungehalten; nun fällt ihr endlich der »Augustin« auf, sie möchte ihn loswerden, verjagen, wie eine aufdringliche, nichtswürdige Fliege, aber »mein lieber Augustin« hat festen Fuß gefaßt; er ist vergnügt und selbstbewußt; er ist unbekümmert und dreist; und plötzlich benimmt sich die Marseillaise furchtbar töricht: Sie macht keinen Hehl daraus, daß sie gereizt und beleidigt ist; es sind Zornesschreie, es sind Tränen und Schwüre mit gen Himmel erhobenen Armen:
    Pas un pouce de notre terrain, pas une pierre des nos forteresses!
    Aber schon ist sie gezwungen, mit »meinem lieben Augustin« im Takt zu singen. Ihre Klänge gehen in der albernsten Manier in den »Augustin« über, sie beugt sich ihm, sie beginnt zu erlöschen. Nur ab und zu bricht von neuem das »qu’un sang impur …« durch, um sogleich fatalerweise in den armseligen Walzer überzugehen. Sie ist endgültig gezähmt: Das ist Jules Favre, der an Bismarcks Brust schluchzt und alles hingibt, alles … Aber auch mit dem »Augustin« geht etwas vor: Er wird gewalttätig, man hört heisere Rufe, das unmäßig genossene Bier macht sich bemerkbar, die Raserei der Selbstzufriedenheit, die Forderung nach Milliarden, teuren Zigarren, Champagner und Geiseln; der »Augustin« steigert sich zum furiosen Gebrüll … Der französisch-preußische Krieg ist zu Ende. Die Unsrigen klatschen. Julija Michajlowna lächelt und sagt: »Wie könnte man ihn vor die Tür setzen?« Der Friede war geschlossen. Dieser Nichtswürdige war tatsächlich nicht unbegabt. Stepan Trofimowitsch hatte einmal mir gegenüber behauptet, daß selbst größte künstlerische Talente die schlimmsten Nichtswürdigen sein könnten und daß das eine das andere nicht ausschließe. Später gab es das Gerücht, Ljamschin habe diese Pièce einem begabten und bescheidenen jungen Mann gestohlen, einem durchreisenden Bekannten, der nun um seine Urheberschaft betrogen sei; aber dies nur am Rande. Dieser Schuft, der einige Jahre vor Stepan Trofimowitsch seine Faxen gemacht hatte, indem er bei dessen Abendgesellschaften auf Wunsch diverse Juden, die Beichte eines tauben alten Weibes oder die Geburt eines Kindes vorstellte, verlegte nun seine Pantomimen zu Julija Michajlowna, wo er Stepan Trofimowitsch selbst als einen »Liberalen der vierziger Jahre« atemberaubend komisch karikierte. Man wälzte sich förmlich vor Lachen, so daß es schließlich unmöglich wurde, ihn vor die Tür zu setzen: Er war unentbehrlich geworden. Außerdem buhlte er sklavisch um die Gunst Pjotr Stepanowitschs, der seinerseits zu diesem Zeitpunkt einen eigentümlich starken Einfluß auf Julija Michajlowna ausübte …
    Ich wäre auf diesen Nichtswürdigen überhaupt nicht zu sprechen gekommen, und er ist es auch nicht wert, erwähnt zu werden; aber es hatte sich da eine empörende Geschichte ereignet, an der er, wie behauptet wird, nicht unbeteiligt war, und auf diese Geschichte kann ich in meiner Chronik unmöglich verzichten.
    Eines Vormittags verbreitete sich durch die ganze Stadt die Nachricht von einer abscheulichen und empörenden Gotteslästerung. Am Rande unseres riesigen Marktplatzes steht die ehrwürdige Mariae-Geburt-Kirche, eines der bedeutendsten Altertümer unserer alten Stadt. Bei dem Tor der Einfassungsmauer befand sich seit unausdenklichen Zeiten eine große Ikone der Muttergottes, die hinter einem Gitter in die Mauer eingelassen war. Und nun war diese Ikone in der Nacht beraubt worden, das Glas vor dem Schrein war eingeschlagen, das Gitter aufgebrochen und aus der Krone und dem Gewand waren mehrere Steine und Perlen herausgebrochen, ich weiß nicht, ob sehr kostbare oder nicht. Aber die Hauptsache war, daß nicht nur geraubt, sondern auch eine sinnlose, frevelhafte Gotteslästerung begangen worden war:

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