Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
anderes als das Ausschütten des Dreckeimers auf beiden Seiten …«
»Mein Gott, so viele fremde Wörter! Auswendig gelernte Lektionen! Die haben auch Sie schon in ihre Uniform gesteckt! Auch Sie freuen sich, auch Sie genießen die Sonne, chère, chère! für welch ein Linsengericht haben Sie denen Ihre Freiheit verkauft!«
»Ich bin kein Papagei, der fremde Worte nachplappert«, brauste Warwara Petrowna auf. »Seien Sie versichert, daß sich die Worte in mir angesammelt haben. Was haben Sie für mich in diesen zwanzig Jahren getan? Sie haben mir sogar die Bücher vorenthalten, die ich für Sie kommen ließ und die, wenn es den Buchbinder nicht gäbe, unaufgeschnitten geblieben wären. Was haben Sie mir zu lesen gegeben, als ich, in den ersten Jahren, Sie gebeten habe, mich zu leiten? Der ewige Capefigue, der ewige Capefigue ! Sie mißgönnten mir sogar meine geistige Entwicklung und trafen Ihre Maßnahmen dagegen. Dabei macht sich alle Welt über Sie lustig! Ich muß gestehen, daß ich Sie schon immer für nichts anderes als einen Kritiker gehalten habe; Sie sind ein Literaturkritiker und sonst nichts. Als ich Ihnen auf der Reise nach Petersburg sagte, daß ich die Absicht hätte, eine Zeitschrift herauszugeben und ihr mein ganzes Leben zu weihen, haben Sie sofort ironisch geguckt und mich plötzlich furchtbar hochmütig behandelt.«
»Das war es nicht, das war es nicht … Wir fürchteten damals Verfolgungen …«
»Das war es doch, und irgendwelche Verfolgungen in Petersburg hatten Sie überhaupt nicht zu fürchten. Erinnern Sie sich, wie Sie später, im Februar, als man davon zu munkeln begann, plötzlich bei mir erschienen, zitternd vor Angst, und auf der Stelle eine Bestätigung verlangten, in Form eines Briefes, daß Sie mit der geplanten Zeitschrift nichts zu tun hätten, daß die jungen Leute zu mir kämen und nicht zu Ihnen und daß Sie nur ein Hauslehrer wären, der deshalb im Hause wohne, weil sein Gehalt noch nicht ausgezahlt sei, war es nicht so? Erinnern Sie sich nicht daran? Sie haben sich zeit Ihres Lebens immer etwas Besonderes einfallen lassen, Stepan Trofimowitsch.«
»Das war nur ein einziger Augenblick des Kleinmuts, eine Minute unter vier Augen!« rief er schmerzlich berührt. »Darf man denn, darf man denn wegen solcher Lappalien alles zerstören? Ist es denn möglich, daß zwischen uns, nach so langen Jahren, nichts, gar nichts unversehrt geblieben ist?«
»Sie sind furchtbar berechnend; Sie möchten immerfort erreichen, daß ich auch noch die Schuldige wäre. Als Sie aus dem Ausland zurückkehrten, sahen Sie auf mich herab und ließen mich nicht zu Wort kommen, und als ich selbst dorthin reiste und Ihnen dann von meinen Eindrücken von der Madonna erzählen wollte, hörten Sie mir nicht einmal bis zum Ende zu und begannen hochmütig in Ihre Halsbinde zu lächeln, als wären mir Gefühle wie die Ihren einfach unzugänglich.«
»Das war es nicht, das war es wahrscheinlich nicht … J’ai oublie .«
»Doch, gerade das war es, und dabei hatten Sie gar keinen Grund, sich vor mir zu brüsten, denn all das ist Unsinn und nichts als Ihre Einbildung. Kein Mensch, kein Mensch begeistert sich heute mehr für die Madonna und verliert damit seine Zeit, höchstens verknöcherte Greise. Das ist bewiesen.«
»Ist es wirklich bewiesen?«
»Sie erfüllt überhaupt keinen Zweck. Dieser Becher ist nützlich, weil man ihn mit Wasser füllen kann; dieser Bleistift ist nützlich, weil man mit ihm alles aufschreiben kann, dies aber ist ein Frauengesicht, das weniger wert ist als jedes andere wirkliche Gesicht. Versuchen Sie es doch, malen Sie einen Apfel und legen Sie einen richtigen Apfel daneben – nach welchem würden Sie greifen? Sie werden gewiß richtig wählen. Sie sehen, wo heute alle Ihre Theorien enden, sobald der erste Strahl der freien Erforschung darauf fällt.«
»So, so.«
»Sie lächeln ironisch. Und was haben Sie mir zum Beispiel über die Wohltätigkeit gesagt? Dabei ist der Genuß, den man bei Wohltätigkeit empfindet, ein überheblicher und unmoralischer Genuß, der Genuß des Reichen an seinem Reichtum, an seiner Macht und am Vergleich seines eigenen Ansehens mit dem eines Bettlers. Die Wohltätigkeit demoralisiert sowohl den Gebenden als auch den Nehmenden und verfehlt darüber hinaus ihren Zweck, weil sie die Armut nur schlimmer macht. Die Faulpelze, die sich vor der Arbeit scheuen, drängen sich um die Gebenden wie die Spieler um den Spieltisch, in der Hoffnung zu
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