Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
gewinnen. Und dabei reichen die erbärmlichen Münzen, die man ihnen zuwirft, nicht für den hundertsten Teil. Wieviel Almosen haben Sie in Ihrem ganzen Leben verteilt? Höchstens acht Zehnkopekenstücke, wissen Sie es noch? Versuchen Sie sich doch zu erinnern, wann Sie das letzte Mal ein Almosen gegeben haben; liegt es zwei Jahre zurück? Oder gar vier? Die machen immer viel Lärm um nichts und stören nur. In der heutigen Gesellschaft sollte Wohltätigkeit gesetzlich verboten sein. In der neuen Ordnung wird es gar keine Armen mehr geben.«
»Oh, welch’ eine Flut fremder Worte! Sie sind also bereits bis zu der neuen Ordnung avanciert? Sie Unglückliche, Gott stehe Ihnen bei!«
»Ja, ich bin bis dahin avanciert, Stepan Trofimowitsch; Sie haben alle diese neuen Ideen sorgfältig vor mir verheimlicht, Ideen, die heute allen bekannt sind. Sie taten es einzig und allein aus Mißgunst, um über mich zu herrschen. Heute ist sogar diese Julija mir um hundert Werst voraus. Aber jetzt sind mir die Augen aufgegangen. Ich habe Sie nach Kräften verteidigt, Stepan Trofimowitsch; denn alle Welt hat an Ihnen etwas auszusetzen.«
»Genug!« Stepan Trofimowitsch erhob sich. »Was soll ich Ihnen noch wünschen? Etwa Reue?«
»Behalten Sie noch einen Augenblick Platz, ich habe noch eine Frage. Ihnen ist eine Aufforderung überbracht worden, bei der literarischen Matinee etwas vorzutragen; das geschah durch meine Vermittlung. Sagen Sie, worüber werden Sie sprechen?«
»Über nichts anderes als über diese Königin aller Königinnen, über dieses Idealbild der Menschheit, über die Sixtinische Madonna, die Ihrer Meinung nach weniger als ein Wasserglas oder ein Bleistift wert ist.«
»Sie wählen also nichts aus der Geschichte?« Warwara Petrowna war bekümmert und erstaunt. »Man wird Ihnen doch nicht zuhören. Was haben Sie nur mit dieser Madonna! Was haben Sie davon, wenn Sie uns alle einschläfern? Seien Sie überzeugt, Stepan Trofimowitsch, ich sage das einzig in Ihrem Interesse. Es wäre doch etwas ganz anderes, wenn Sie sich für eine kurze, aber unterhaltende Episode aus dem mittelalterlichen Hofleben entscheiden würden, aus der spanischen Geschichte zum Beispiel oder, besser gesagt, eine Anekdote, mit weiteren Anekdoten witzig ausgeschmückt! Da gab es doch ein prunkvolles Hofleben, da gab es doch solche Damen, da gab es Giftmorde! Karmasinow sagt, es müsse schon merkwürdig zugehen, wenn man nicht einmal in der spanischen Geschichte etwas Unterhaltendes für einen Vortrag finden könne.«
»Karmasinow! Dieser leergeschriebene Dummkopf schlägt mir ein Thema vor!«
»Karmasinow, dieser beinahe staatsmännische Kopf! Sie haben eine allzu lose Zunge, Stepan Trofimowitsch.«
»Ihr Karmasinow ist nichts als ein altes, böses, leergeschriebenes Weib! Chère, chère, seit wann sind sie die Sklavin dieser Leute, o mein Gott!«
»Ich kann ihn auch heute nicht ausstehen, weil er so wichtig tut, aber seinem Geist lasse ich Gerechtigkeit widerfahren. Ich wiederhole: Ich habe Sie mit aller Kraft verteidigt, solange ich nur konnte. Aber warum wollen Sie unbedingt lächerlich und langweilig sein? Im Gegenteil, Sie sollen mit einem ehrfurchtgebietenden Lächeln auf die Bühne treten, als Repräsentant einer vergangenen Zeit, und drei Anekdoten zum besten geben, mit all Ihrem ganzen Witz, wie Sie als einziger zu erzählen verstehen. Mögen Sie ein Greis sein, mögen Sie einer dahingegangenen Generation angehören, mögen Sie schließlich hinter ihnen zurückgeblieben sein; aber wenn Sie all das in der Einleitung gestehen, werden alle erkennen, daß Sie ein liebes, gutes, witziges Relikt sind, mit einem Wort: einer von der alten Garde. Aber immerhin so fortschrittlich, daß er bereit ist, den Widersinn mancher Vorstellungen, denen er bisher gehuldigt hat, richtig einzuschätzen. Also, tun Sie mir den Gefallen, ich bitte Sie!«
»Chère, genug! Bitten Sie mich nicht. Ich werde über die Madonna sprechen, aber ich werde einen Sturm entfesseln, der entweder sie alle zerschmettert oder nur mich allein trifft!«
»Gewiß nur Sie allein, Stepan Trofimowitsch.«
»Das ist mein Los. Ich werde von jenem gemeinen Knecht sprechen, jenem stinkenden und verderbten Lakaien, der als erster, eine Schere in der Hand, auf die Leiter steigen wird, um das göttliche Antlitz des erhabenen Ideals zu zerstören, im Namen der Gleichheit, des Neides und der … Verdauung. Mein Fluch soll erschallen, und dann, dann …«
»Ins Tollhaus?«
»Mag
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