Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Morgen, ein kleines Kotelett und trank ein halbes Glas Rotwein. Pjotr Stepanowitsch hatte ihn bereits früher ein paarmal aufgesucht und ihn stets bei einem solchen kleinen Morgenkotelett angetroffen, das er in seiner Gegenwart verzehrte, ohne ihm auch nur ein einziges Mal etwas anzubieten. Nach dem Kotelett servierte man ihm auch noch ein Täßchen Kaffee. Der Diener, der das Déjeuner brachte, trug Frack, weiche, lautlose Stiefel und weiße Handschuhe.
»Aha!« Karmasinow erhob sich vom Sofa, wischte sich den Mund mit der Serviette und traf schon Anstalten, ihn mit der Miene reinster Freude zu umarmen und den Kuß mit ihm zu tauschen – die charakteristische Gewohnheit der Russen, wenn sie gar zu berühmt sind. Pjotr Stepanowitsch aber wußte bereits aus Erfahrung, daß Karmasinow zwar so tat, als wünsche er zu küssen, in Wirklichkeit aber seine Backe zum Kusse hinhielt, und machte es diesmal genauso; beide Backen trafen aufeinander. Karmasinow gab sich den Anschein, als habe er nichts bemerkt, setzte sich wieder auf das Sofa und deutete zuvorkommend auf den gegenüberstehenden Sessel, in dem es sich Pjotr Stepanowitsch sofort bequem machte.
»Wünschen Sie etwa … Möchten Sie frühstücken?« fragte der Gastgeber, diesmal seiner Gewohnheit untreu werdend, aber mit einer Miene, die unmißverständlich eine höfliche Ablehnung nahelegte. Pjotr Stepanowitsch jedoch wünschte zu frühstücken. Ein Schatten beleidigten Staunens verdüsterte das Gesicht des Hausherrn, aber nur für einen Augenblick; er läutete dem Diener und befahl mit einer trotz aller guten Erziehung geringschätzig erhobenen Stimme ein zweites Déjeuner.
»Was wünschen Sie? Kotelett oder Kaffee?« erkundigte er sich noch einmal.
»Sowohl Kotelett als auch Kaffee, und lassen Sie mir mehr Wein bringen, ich habe Appetit«, antwortete Pjotr Stepanowitsch und betrachtete aufmerksam und gelassen den Aufzug seines Gastgebers. Herr Karmasinow trug ein wattiertes Hausröckchen mit Perlmuttknöpfchen, eine Art Jackett, aber viel zu kurz, das zu seinem ziemlich feisten Bäuchlein und den runden, prallen Oberschenkeln keineswegs paßte; aber die Geschmäcker sind verschieden. Über seinen Knien lag ein bis zum Fußboden reichendes kariertes Wollplaid, obwohl es im Zimmer warm war.
»Sind Sie etwa krank?« fragte Pjotr Stepanowitsch.
»Nein, ich bin nicht krank, aber ich fürchte, in diesem Klima krank zu werden«, erwiderte der Schriftsteller in seinem Falsett, indem er hingebungsvoll jedes Wort skandierte und affektiert vornehm lispelte. »Ich habe Sie schon gestern erwartet.«
»Wieso? Ich hatte Ihnen doch nichts versprochen.«
»Ja, aber Sie haben doch mein Manuskript. Sie … haben es gelesen?«
»Manuskript? Was für ein Manuskript?«
Karmasinow war maßlos erstaunt.
»Haben Sie es etwa nicht mitgebracht?« Seine plötzliche Aufregung war so groß, daß er nicht einmal weiteressen konnte und Pjotr Stepanowitsch entsetzt anstarrte.
»Ach, Sie meinen dieses ›Bonjour‹ …«
»›Merci‹.«
»Meinetwegen. Ganz vergessen und nicht gelesen, keine Zeit. Wirklich, keine Ahnung, in meinen Taschen auch nicht … muß bei mir auf dem Tisch liegen. Machen Sie sich keine Sorgen, wird sich finden.«
»O nein, ich möchte lieber sofort zu Ihnen schicken. Das Manuskript könnte verlorengehen und, schließlich, gestohlen werden.«
»Wer will das schon haben! Aber warum sind Sie so erschrocken, Sie lassen doch, sagt Julija Michajlowna, immer mehrere Kopien anfertigen, und eine wird irgendwo im Ausland bei einem Notar, eine zweite in Petersburg, eine dritte in Moskau und sogar in einer Bank aufbewahrt.«
»Aber Moskau kann doch niederbrennen und mit Moskau mein Manuskript. O nein, ich möchte doch lieber sofort jemand hinschicken.«
»Halt! Da ist es ja!« Pjotr Stepanowitsch zog aus der Gesäßtasche einen Packen Briefbögen. »Ein wenig zerknittert. Stellen Sie sich vor, so, wie ich es damals bei Ihnen eingesteckt habe, hat es die ganze Zeit in der Gesäßtasche gesteckt, neben dem Taschentuch.«
Karmasinow griff gierig nach dem Manuskript, untersuchte es behutsam von allen Seiten, zählte die Bögen und legte es einstweilen vorsichtig auf ein besonderes Tischchen in seiner Nähe, um es die ganze Zeit in Sichtweite zu haben.
»Sie lesen, wie es scheint, nicht besonders viel?« zischte er, außerstande, sich zu beherrschen.
»Nein, nicht besonders viel.«
»Und russische Belletristik wohl gar nicht?«
»Russische Belletristik? Moment
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