Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Karmasinow mit bewegter Stimme und drückte ihm beide Hände.
“Zeit genug für dich, du alte Ratte, das Schiff zu verlassen!” dachte Pjotr Stepanowitsch, als er auf die Straße hinaustrat. “Aber wenn schon dieser ‘fast staatsmännische Kopf’ sich so überzeugt nach Datum und Stunde erkundigt und so ehrerbietig für die erhaltene Auskunft dankt, dann haben wir keinen Grund mehr, an uns selbst zu zweifeln.” (Er lächelte.) “Hm. Aber er ist tatsächlich gar nicht dumm und … nur eine auswandernde Ratte; so eine denunziert nicht!”
Er eilte in die Bogojawlenskaja-Straße, in das Haus Filippow.
VI
PJOTR Stepanowitsch suchte zuerst Kirillow auf. Dieser war, wie gewöhnlich, allein und diesmal gerade dabei, mitten im Zimmer Gymnastik zu machen, indem er breitbeinig dastand und auf eine besondere Weise die Arme über dem Kopf schwang. Auf dem Fußboden lag der Ball. Auf dem Tisch stand noch der Morgentee, noch nicht abgeräumt, aber schon kalt. Pjotr Stepanowitsch blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen.
»Sie tun aber viel für Ihre Gesundheit«, sagte er laut und aufgeräumt, indem er ins Zimmer trat; »aber was ist das für ein prächtiger Ball, und wie hoch der springt; auch für die Gymnastik?«
Kirillow zog sich den Rock an.
»Ja, auch für die Gesundheit«, murmelte er trocken. »Setzen Sie sich.«
»Nur einen Augenblick. Aber ich setze mich doch. Gesundheit hin, Gesundheit her, ich komme, um an unsere Abmachung zu erinnern. Der Zeitpunkt rückt ›in dem bewußten Sinne‹ immer näher«, schloß er mit einem ungeschickten Salto.
»Was für eine Abmachung?«
»Was heißt ›was für eine Abmachung‹?« fuhr Pjotr Stepanowitsch beunruhigt, fast erschrocken hoch.
»Keine Abmachung und keine Pflicht, bin ungebunden, Irrtum Ihrerseits.«
»Ich bitte Sie, was reden Sie da?« Pjotr Stepanowitsch, vollends erschrocken, sprang auf.
»Aus eigenem Willen.«
»Was für ein Wille?«
»Immer derselbe.«
»Wie soll ich das verstehen? Bedeutet das, daß Sie ebenso denken wie damals?«
»Das bedeutet es. Abmachung allerdings ist keine und war auch keine, ich bin ungebunden. War nur mein Wille und ist jetzt auch nur mein Wille.«
Kirillow sprach schroff und angewidert.
»Einverstanden, einverstanden, mag es Ihr Wille sein, wenn sich dieser freie Wille nur nicht ändert«, Pjotr Stepanowitsch setzte sich wieder mit zufriedener Miene hin. »Sie ärgern sich über Worte, Sie ärgern sich in letzter Zeit überhaupt viel zu sehr; deshalb habe ich es auch unterlassen, Sie zu besuchen. Übrigens bin ich völlig überzeugt, daß Sie nichts ändern werden.«
»Ich liebe Sie gar nicht, aber Sie können vollkommen sicher sein. Obwohl ich kein Ändern oder Nichtändern anerkenne.«
»Aber wissen Sie«, Pjotr Stepanowitsch wurde von neuem unruhig, »wir sollten uns noch einmal vernünftig unterhalten, damit keine Unklarheiten aufkommen. Die Angelegenheit erfordert Präzision. Und Sie bringen mich furchtbar durcheinander. Sie erlauben, daß ich spreche?«
»Sprechen Sie«, sagte Kirillow schroff und blickte unverwandt in eine Ecke.
»Sie haben schon lange beschlossen, sich das Leben zu nehmen … das heißt, Sie hatten diese Idee. Drücke ich mich richtig aus? Irre ich mich?«
»Ich habe diese Idee auch jetzt.«
»Ausgezeichnet. Beachten Sie dabei, daß niemand Sie dazu genötigt hat.«
»Noch schöner; wie dumm Sie reden.«
»Mag sein, mag sein; ich habe mich sehr dumm ausgedrückt. Es wäre ohne Zweifel sehr dumm, jemanden in diesem Fall zu nötigen. Ich fahre fort: Sie waren Mitglied der Gesellschaft noch zur Zeit der alten Organisation und haben dies damals einem anderen Mitglied der Gesellschaft anvertraut.«
»Nicht anvertraut, einfach gesagt.«
»Mag sein. Es wäre ja auch komisch, so etwas ›anzuvertrauen‹, wie bei der Beichte. Sie haben es einfach gesagt; ausgezeichnet.«
»Nein, nicht ausgezeichnet, Sie reden so viel. Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig, und meine Gedanken können Sie nicht verstehen. Ich will mir das Leben nehmen, weil ich diese Idee habe, weil ich die Angst vor dem Tod nicht will, weil … weil es Sie gar nichts angeht … Was wollen Sie? Wollen Sie Tee? Kalt. Warten Sie, ich hole Ihnen ein anderes Glas.«
Pjotr Stepanowitsch hatte tatsächlich die Teekanne genommen und nach einem leeren Glas gesucht. Kirillow ging zum Schrank und brachte ihm ein frisches Glas.
»Ich habe soeben bei Karmasinow gefrühstückt«, bemerkte der Besucher, »dann habe ich
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