Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
wem auch immer Rechenschaft abzulegen«, sagte er mit großer Entschiedenheit, »es gibt niemand, der das Recht hätte, mich freizusprechen.«
»Nicht ganz. Man hat Ihnen vieles anvertraut, Sie hatten nicht das Recht, einfach abzubrechen. Und schließlich haben Sie davon nie deutlich gesprochen und damit die anderen in eine mißliche Lage gebracht.«
»Als ich hierherkam, habe ich mich in einem Brief deutlich ausgesprochen.«
»Nein, so deutlich wiederum nicht«, widersprach Pjotr Stepanowitsch seelenruhig, »ich habe Ihnen zum Beispiel die ›Lichte Persönlichkeit‹ geschickt, damit Sie sie hier drucken und sämtliche Exemplare einstweilen irgendwo bei Ihnen aufbewahren, ebenfalls die zwei Proklamationen. Sie haben mir das Gedicht mit einem mißverständlichen Brief zurückgeschickt, der nichts besagt.«
»Ich habe mich direkt geweigert zu drucken.«
»Ja, aber so direkt wiederum nicht. Sie schrieben: ›Ich kann nicht‹, aber Sie haben sich über den Grund ausgeschwiegen. ›Ich kann nicht‹ heißt doch ›ich will nicht‹. Man hätte durchaus annehmen können, daß es einfach die materiellen Bedingungen sind, die Sie daran hindern. So hat man es aufgefaßt und war der Meinung, daß Sie trotz allem bereit wären, die Verbindung zu der Gesellschaft aufrechtzuerhalten, und daß man Ihnen folglich abermals etwas anvertrauen könnte – um sich damit endgültig zu kompromittieren. Hier behauptet man, daß Sie uns einfach auf den Leim führen wollten, um uns dann im Besitz irgendeiner wichtigen Nachricht zu denunzieren. Ich habe Sie nach Kräften verteidigt und ihre schriftliche Antwort von zwei Zeilen als ein Dokument zu Ihrer Entlastung vorgelegt, muß aber doch zugeben, nachdem ich jetzt diese zwei Zeilen noch einmal gelesen habe, daß diese zwei Zeilen höchst unklar und irreführend sind.«
»Sie haben also diesen Brief so sorgfältig aufbewahrt?«
»Was ist denn dabei, daß ich ihn aufbewahrt habe; ich habe ihn auch jetzt bei mir.«
»Bitte schön, und wenn schon, zum Teufel! …« schrie Schatow wütend. »Sollen doch Ihre Narren mich für einen Denunzianten halten, was kümmert mich das! Ich möchte doch gern wissen, was Sie mir anhaben können?«
»Man würde Sie auf die Liste setzen und beim ersten Erfolg der Revolution aufknüpfen.«
»Wenn ihr an die Macht kommt und ganz Rußland unterwerft?«
»Sie sollten nicht darüber lachen. Ich wiederhole, daß ich für Sie gekämpft habe. So oder so, ich rate Ihnen, heute zu erscheinen. Wozu diese überflüssigen Reden aus falschem Stolz? Ist es nicht besser, sich in aller Freundschaft zu trennen? Auf jeden Fall müssen Sie Druckerpresse, Lettern und die alten Papiere übergeben, und das gilt es zu besprechen.«
»Ich komme«, knurrte Schatow und senkte nachdenklich den Kopf. Pjotr Stepanowitsch beobachtete ihn verstohlen von seinem Platz aus.
»Wird Stawrogin kommen?« fragte Schatow plötzlich und hob den Kopf.
»Gewiß.«
»He-he!«
Ungefähr eine Minute schwiegen sie wieder. Schatow grinste gereizt und angewidert.
»Ist Ihre ordinäre ›Lichte Persönlichkeit‹, die ich hier nicht drucken wollte, inzwischen gedruckt?«
»Ist gedruckt.«
»Um Gymnasiasten damit zu imponieren, daß Herzen persönlich Ihnen das ins Album geschrieben hat?«
»Herzen persönlich.«
Ungefähr drei Minuten schwiegen sie wieder. Endlich stand Schatow von seinem Bett auf.
»Hinaus mit Ihnen, ich mag nicht mit Ihnen zusammensitzen.«
»Ich gehe«, sagte Pjotr Stepanowitsch, sogar irgendwie gutgelaunt, und stand unverzüglich auf. »Nur noch eins: Kirillow wohnt jetzt, scheint es, mutterseelenallein in seinem Hinterhaus, ohne seine Aufwartefrau?«
»Mutterseelenallein. Hinaus, ich kann nicht mit Ihnen im selben Zimmer sein.
“Soso, jetzt bist du richtig!” dachte Pjotr Stepanowitsch gutgelaunt, als er auf die Straße hinaustrat, “und heute abend wirst du auch richtig sein, und ich will dich gerade so haben, wie du jetzt bist, besser kann ich’s mir nicht wünschen! Der russische Gott selbst hat die Finger im Spiel!”
VII
WAHRSCHEINLICH war er an diesem Tag sehr geschäftig und sehr viel unterwegs gewesen; und offenbar erfolgreich – das verriet der selbstzufriedene Ausdruck seiner Physiognomie, als er abends, punkt sechs, sich bei Nikolaj Wsewolodowitsch anmelden ließ. Aber er wurde nicht sogleich vorgelassen; Nikolaj Wsewolodowitsch hatte sich mit Mawrikij Nikolajewitsch in seinem Kabinett eingeschlossen. Diese Auskunft gab ihm sogleich zu
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