Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Gruppen zusammenhalten? Die ganze Hierarchie und die ganze Sentimentalität – das ist ein guter Kleister, aber es gibt etwas, das noch besser hält: Überreden Sie vier Mitglieder einer Gruppe, den fünften um die Ecke zu bringen, unter dem Vorwand, dieser könnte sie denunzieren, und sogleich werden Sie alle durch das vergossene Blut wie durch einen einzigen Knoten aneinanderfesseln. Sie werden Ihre Sklaven sein und nicht mehr wagen, zu rebellieren oder Rechenschaft zu fordern. Ha-ha-ha!«
“Jedenfalls wirst du … jedenfalls wirst du mir für diese Worte bezahlen”, dachte Pjotr Stepanowitsch, “und zwar noch heute abend. Inzwischen erlaubst du dir wirklich zuviel.”
So oder ungefähr so muß Pjotr Stepanowitsch gedacht haben. Übrigens näherten sie sich bereits dem Haus Wirginskijs.
»Sie haben mich wohl als ein Mitglied aus dem Ausland angekündigt, als Verbindungsmann zur Internationale, als einen Revisor?« fragte Stawrogin plötzlich.
»Nein, nicht als Revisor; nicht Sie sollen der Revisor sein; aber Sie sind ein Gründungsmitglied aus dem Ausland, dem die wichtigsten Geheimnisse bekannt sind – das ist Ihre Rolle. Sie werden natürlich etwas sagen?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Jetzt sind Sie verpflichtet, etwas zu sagen.«
Stawrogin blieb vor Verwunderung sogar stehen, mitten auf der Straße, nicht weit von einer Laterne. Pjotr Stepanowitsch hielt seinem Blick dreist und ungerührt stand. Stawrogin zuckte die Achseln und ging weiter.
»Und werden Sie etwas sagen?« fragte er plötzlich Pjotr Stepanowitsch.
»Nein, ich werde Ihnen eben zuhören.«
»Der Teufel soll Sie holen! Sie bringen mich wirklich auf eine Idee.«
»Was für eine?« fragte Pjotr Stepanowitsch wie elektrisiert.
»Es könnte sein, daß ich dort etwas sagen werde, aber dafür werde ich Sie anschließend verprügeln, und, wissen Sie, ordentlich.«
»Nebenbei: Vorhin habe ich Karmasinow erzählt, Sie hätten gesagt, er gehört ausgepeitscht, und zwar nicht ehrenhalber, sondern wie ein Bauer, schmerzhaft.«
»Aber das habe ich nie gesagt, ha-ha!«
»Egal. Se non è vero …«
»Danke ergebenst.«
»Und, wissen Sie, was Karmasinow sagte: Im Wesentlichen ist unsere Lehre die Negation der Ehre, und mit der Legalisierung der Ehrlosigkeit kann man den Russen am leichtesten mitreißen.«
»Vorzüglich! Goldene Worte!« rief Stawrogin. »Den Nagel auf den Kopf getroffen! Legalisierung der Ehrlosigkeit – alle werden zu uns überlaufen, kein einziger wird drüben bleiben! Aber hören Sie, Werchowenskij, Sie sind doch nicht bei der Geheimpolizei, wie?«
»Aber wer im stillen solche Fragen stellt, der spricht sie nicht aus!«
»Verstehe, aber wir sind unter uns.«
»Nein, vorläufig nicht bei der Geheimpolizei. Genug, wir sind da. Machen Sie das richtige Gesicht, Stawrogin; ich mache immer das richtige Gesicht, wenn ich vor denen auftrete. So düster wie möglich, das ist alles, mehr ist nicht nötig; völlig unkompliziert.«
Siebtes Kapitel
Bei den Unsrigen
I
WIRGINSKIJ wohnte im eigenen Haus, das heißt im Hause seiner Frau, in der Murawjinaja-Straße. Es war ein Holzhaus, einstöckig, ohne Mieter. Unter dem Vorwand, den Namenstag des Hausherrn zu feiern, hatten sich dort etwa fünfzehn Menschen versammelt; aber die Gesellschaft ähnelte keineswegs einer gewöhnlichen provinziellen Namenstagsgesellschaft. Gleich nach ihrer Heirat hatte sich das Ehepaar Wirginskij ein für allemal darauf geeinigt, daß es rundherum töricht sei, zum Namenstag Gäste einzuladen, da ja »überhaupt kein Anlaß zur Freude« vorliege. Nach einigen Jahren war es ihnen gelungen, sich von der Gesellschaft völlig abzusondern. Er, obwohl ein Mann nicht ohne Fähigkeiten und keineswegs »gänzlich unbemittelt«, wurde allgemein aus irgendeinem Grunde für einen Sonderling gehalten, der das Einsiedlerleben vorziehe und überdies »anmaßend« rede. Madame Wirginskaja jedoch, die dem Beruf einer Hebamme nachging, stand schon allein deshalb auf der untersten Sprosse der gesellschaftlichen Leiter; sogar tiefer als das Eheweib des Popen, obwohl ihr Gatte im Range eines Offiziers stand. Die Demut jedoch, die ihr Beruf hätte mit sich bringen sollen, konnte an ihr niemals bemerkt werden. Und nach ihrem unübertroffen dummen und unverzeihlichen, aus Prinzip zur Schau getragenen Verhältnis zu einem Gauner, dem Hauptmann Lebjadkin, wandten sich selbst die verständnisvollsten unserer Damen mit deutlicher Mißbilligung von ihr ab. Aber M me.
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