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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Rußland.« Liputin versuchte es noch einmal.
    »Heute setzt man alle Hoffnungen auf Rußland«, bemerkte einer der Offiziere.
    »Auch das haben wir sehr wohl vernommen, daß man alle Hoffnungen auf uns setzt«, fiel der Hinkende ein. »Es ist uns bekannt, daß ein geheimer Index auf unser teures Vaterland hindeutet als auf das Land, das für die Erfüllung der großen Aufgabe besonders prädestiniert ist. Aber eines gilt es zu bedenken: Im Falle der schrittweisen Lösung der Aufgabe mittels Propaganda hätte ich persönlich immerhin einen Gewinn, ich könnte dann wenigstens angenehm konversieren und würde von der Obrigkeit für meinen Einsatz für die soziale Sache befördert werden. Im Falle der zweiten, der prompten Lösung, auf dem Wege der hundert Millionen Köpfe – wie würde ich eigentlich dann belohnt? Wenn man dann Propaganda macht, dann schneidet man einem womöglich die Zunge ab.«
    »Ihnen schneidet man sie bestimmt ab«, sagte Werchowenskij.
    »Sehen Sie. Weil aber unter günstigsten Umständen ein solches Schlachten nicht weniger als fünfzig oder, sagen wir, dreißig Jahre dauern würde, da man es ja nicht mit Hammeln zu tun hat und die Schlachtopfer sich möglicherweise zur Wehr setzen – wäre es da nicht doch besser, sein Bündel zu schnüren und irgendwohin auszuwanden, hinter stille Meere, auf stille Inseln, um dort die Augen in Frieden zu schließen? Glauben Sie mir«, und er klopfte bedeutsam mit dem Finger auf den Tisch, »durch solche Propaganda lösen Sie nur eine Emigration aus, weiter nichts!«
    Er schloß, sichtlich triumphierend. Er war der kluge Kopf des Gouvernements. Liputin lächelte tückisch, Wirginskij verfolgte die Diskussion irgendwie niedergeschlagen, alle anderen hörten mit gespannter Aufmerksamkeit zu, besonders die Damen und die Offiziere. Allen war klar, daß der Agent der hundert Millionen Köpfe in die Enge getrieben war, und alle warteten, was darauf folgen würde.
    »Es ist übrigens ganz gut, was Sie da sagen«, nuschelte Werchowenskij schlaff, noch gleichgültiger als vorher und sogar irgendwie gelangweilt. »Emigrieren – der Gedanke ist gut. Allerdings, wenn ungeachtet der offensichtlichen Nachteile, die Sie voraussehen, die Zahl der Streiter für die allgemeine Sache von Tag zu Tag wächst, so wird man auch ohne Sie auskommen. Hier, Verehrtester, ist eine neue Religion im Anzuge, die die Stelle der alten einnehmen wird, deshalb wächst auch die Zahl der Streiter, eine gewaltige Sache. Sie dürfen ruhig emigrieren! Und, wissen Sie, ich empfehle Ihnen Dresden und nicht die stillen Inseln. Erstens ist es eine Stadt, die noch nie eine Epidemie erlebt hat, und da Sie ein gebildeter Mensch sind, werden Sie sich sicherlich vor dem Tode fürchten; zweitens ist man dort in der Nähe der russischen Grenze, so daß man bequem seine Einkünfte aus dem geliebten Vaterlande beziehen kann; drittens birgt die Stadt eine Menge sogenannter Kunstschätze, und Sie sind doch ein Ästhet, ehemaliger Lehrer, Philologe, wenn ich nicht irre, und schließlich gehört zu Dresden eine eigene Schweiz im Taschenformat – letzteres für die poetischen Inspirationen, denn Sie schreiben gewiß dann und wann Gedichte! Kurz, ein Schatz in der Tabatière!«
    Durch die Gesellschaft ging ein Ruck; besonders unruhig wurden die Offiziere. Noch ein Augenblick, und alle hätten auf einmal losgeredet. Aber der Hinkende, gereizt, wie er war, biß sofort an:
    »O nein, es könnte durchaus sein, daß wir die gemeinsame Sache nicht im Stich lassen! Es muß doch jedem klar sein, daß …«
    »Ach, Sie würden also in eine Fünfergruppe eintreten, wenn ich es Ihnen vorschlagen würde?« platzte Werchowenskij plötzlich heraus und legte die Schere auf den Tisch.
    Es war, als zuckten alle zusammen. Der rätselhafte Mensch ließ seine Maske allzu plötzlich fallen. Er sprach sogar unverblümt von einer »Fünfergruppe«.
    »Jedermann hält sich für einen anständigen Menschen und läßt die gemeinsame Sache nicht im Stich«, wand sich der Hinkende, »aber …«
    »Nein, jetzt gilt kein a-b-e-r mehr«, fiel ihm Werchowenskij gebieterisch und scharf ins Wort. »Ich erkläre, meine Herrschaften, daß ich eine klare Antwort brauche. Ich weiß sehr wohl, daß ich, nachdem ich hierhergekommen bin und Sie von mir aus zusammengerufen habe, Ihnen Erklärungen schulde« (abermals ließ er die Maske unerwartet fallen), »aber ich bin nicht in der Lage, sie abzugeben, bevor ich nicht weiß, welches Ihre Grundsätze

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