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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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sind. Sparen wir uns das Gerede – man kann doch nicht weitere dreißig Jahre lang schwatzen, wie bereits dreißig Jahre lang geschwatzt wurde – ich stelle Ihnen eine Frage: Was ist Ihnen lieber, der langsame Weg, der im Verfassen sozialer Romane und bürokratischer Bestimmungen menschlicher Schicksale auf tausend Jahre im voraus auf dem Papier besteht, während der Despotismus Ihnen die knusprigen Happen, die Ihnen von selbst in den Mund geflogen kommen, wegschnappt – oder die rasche Lösung, worin sie auch bestehen mag, die Ihnen aber endlich die Hände frei macht und der Menschheit die Möglichkeit garantiert, ungestört und aus eigener Kraft eine soziale Ordnung aufzubauen, und zwar in der Realität und nicht auf dem Papier? Man schreit: ›Hundert Millionen Köpfe‹ – vielleicht ist das nur eine Metapher, aber warum soll man davor zurückschrecken, wenn bei den geruhsamen Träumen auf dem Papier der Despotismus in hundert Jahren nicht hundert, sondern fünfhundert Millionen Köpfe verschlingt? Bedenken Sie außerdem, daß ein unheilbar Kranker niemals gesund wird, was man auf dem Papier auch rezeptieren mag, und daß er im Gegenteil, je länger er dahinsiecht, bei lebendigem Leibe verfault, auch uns ansteckt und sämtliche frischen Kräfte, auf die man jetzt noch rechnen kann, verdirbt, so daß wir alle schließlich zugrunde gehen. Ich stimme mit Ihnen vollkommen überein, daß liberale Eloquenz außerordentlich erbaulich, das Handeln aber riskant ist … Na ja, ich bin übrigens kein guter Redner; ich bin hierhergekommen, um bestimmte Mitteilungen zu machen, und bitte deshalb die ehrenwerte Gesellschaft, nicht abzustimmen, sondern sich klipp und klar äußern zu wollen, was für jeden von Ihnen ansprechender ist: im Schildkrötengang im Sumpf waten oder mit Volldampf hindurch?«
    »Ich bin entschieden für Volldampf!« rief der Gymnasiast begeistert.
    »Ich auch!« sekundierte Ljamschin.
    »Über die Entscheidung gibt es natürlich keinen Zweifel«, murmelte ein Offizier, dann ein zweiter, dann noch irgend jemand. Am tiefsten waren alle davon beeindruckt, daß Werchowenskij »Mitteilungen« in der Tasche hatte und ungefragt versprach, sie sogleich bekanntzugeben.
    »Meine Herren, ich sehe, daß Sie sich fast alle im Sinne der Proklamationen entschieden haben«, sagte er, wobei er seine Blicke über die Versammelten schweifen ließ.
    »Alle, alle!« ertönte die Mehrzahl der Stimmen.
    »Ich muß gestehen, daß ich eher zu einer humanen Lösung neige«, sagte der Major, »aber wenn schon alle dafür sind, so bin ich dabei.«
    »Demnach erheben auch Sie keinen Widerspruch?« wandte sich Werchowenskij an den Hinkenden.
    »Nicht, daß ich keinen …«, antwortete dieser leicht errötend, »aber wenn ich jetzt zusammen mit den anderen zustimme, so einzig und allein, um nicht störend …«
    »So seid Ihr alle miteinander! Ein halbes Jahr streitet sich so einer aus liberaler Schönrednerei, aber zum Schluß stimmt er genauso wie die anderen! Meine Herren, Sie müssen es sich gut überlegen, ob Sie wirklich bereit sind?« (Bereit? Wozu? – eine unbestimmte, aber äußerst verführerische Frage.)
    »Natürlich, alle …« ertönte Zustimmung. Allerdings warfen alle einander verstohlene Blicke zu.
    »Vielleicht werden Sie es mir später übelnehmen, daß Sie so schnell zugestimmt haben? Das ist ja bei Ihnen beinahe üblich.«
    Man regte sich auf, aus mancherlei Gründen, man regte sich heftig auf. Der Hinkende attackierte Werchowenskij.
    »Erlauben Sie die Bemerkung, daß Antworten auf derartige Fragen nur unter Vorbehalt gegeben werden. Selbst wenn wir eine Entscheidung getroffen haben, sollten Sie sich merken, daß eine auf so merkwürdige Weise gestellte Frage …«
    »Merkwürdige Weise? Wieso?«
    »Auf eine Weise, die bei Fragen dieser Art nicht angebracht ist.«
    »Ich bitte Sie, mich darüber zu belehren. Wissen Sie, ich war ja überzeugt, daß Sie der erste sein würden, der es mir übelnimmt.«
    »Sie haben uns die Antwort, ob wir zu unverzüglichem Handeln bereit wären, in den Mund gelegt, aber welches Recht haben Sie eigentlich, so vorzugehen? Welche Vollmachten, uns solche Fragen zu stellen?«
    »Sie hätten früher danach fragen sollen! Warum haben Sie denn geantwortet? Sie haben zugestimmt und sind dann zurückgeschreckt.«
    »Und mich für mein Teil bringt die leichtfertige Direktheit Ihrer Hauptfrage auf die Idee, daß Sie weder über Vollmachten noch über Rechte verfügen und nur aus

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