Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
aber es lachten vor allem die jungen und sozusagen wenig eingeweihten Gäste. Auf den Gesichtern der Gastgeberin, Liputins und des hinkenden Lehrers zeigte sich eine gewisse Verstimmung.
»Wenn Sie selbst es nicht fertiggebracht haben, Ihr System zusammenzukleistern, und darüber verzweifeln, was können wir damit anfangen?« fragte vorsichtig ein Offizier.
»Sie haben recht, mein Herr aktiver Offizier«, Schigaljow wandte sich rasch zu ihm, »vor allem deshalb, weil Sie das Wort ›verzweifeln‹ gebraucht haben. Ja, ich verzweifelte immer wieder; dennoch bleibt alles, was in meinem Buch dargestellt ist – unersetzlich, und einen anderen Ausweg gibt es nicht; keinem wird etwas Besseres einfallen. Und deshalb beeile ich mich, ohne Zeit zu verlieren, die ganze Gesellschaft aufzufordern, ihre Meinung kundzugeben, nachdem sie sich zehn Abende hintereinander mein Buch angehört haben wird. Wenn aber die Teilnehmer sich weigern sollten, mir zuzuhören, dann wollen wir gleich am Anfang auseinandergehen – die Männer in ihre Ämter, die Frauen in ihre Küche, weil sie, falls sie mein Buch ablehnen, keinen anderen Ausweg finden werden. Ab-so-lut kei-nen! Und wenn sie Zeit verlieren, schaden sie sich selber, denn schließlich werden sie unweigerlich an denselben Punkt zurückkehren.«
Es wurde unruhig: »Ist er vielleicht übergeschnappt?« fragten verschiedene Stimmen.
»Das bedeutet, daß alles sich um Schigaljows Verzweiflung dreht«, faßte Ljamschin die Situation zusammen. »Die vordringliche Frage lautet: Soll er verzweifeln oder nicht?«
»Schigaljows Bereitschaft zu verzweifeln ist seine persönliche Sache«, bemerkte der Gymnasiast.
»Ich schlage vor, daß wir abstimmen, ob Schigaljows Verzweiflung die allgemeine Sache tangiert, und damit über die Frage, ob es sich lohnt, ihm zuzuhören oder nicht«, schlug ein Offizier belustigt vor.
»Das ist es nicht«, mischte sich endlich der Hinkende ein. Gewöhnlich sprach er mit einem irgendwie spöttischen Lächeln, so daß gelegentlich gar nicht so einfach zu unterscheiden war, ob er es ernst meinte oder nicht. »Nein, meine Herrschaften, das ist es nicht. Herr Schigaljow nimmt seine Aufgabe viel zu ernst und ist dabei viel zu bescheiden. Sein Buch ist mir bekannt. Er schlägt vor, als endgültige Lösung des Problems – die Menschheit in zwei ungleiche Teile zu teilen. Ein Zehntel erhält die Freiheit der Person und das unbeschränkte Recht über die übrigen neun Zehntel. Letztere müssen ihre Persönlichkeit verlieren und sich in eine Art Herde verwandeln, bis sie bei absolutem Gehorsam nach Generationen ihre ursprüngliche Unschuld wiedererlangen, eine Art ursprüngliches Paradies, obwohl sie natürlich arbeiten werden. Die Maßnahmen, die der Autor vorschlägt, um diesen neun Zehnteln der Menschheit den eigenen Willen zu nehmen und sie mittels Umerziehung ganzer Generationen in eine Herde zu verwandeln, sind höchst bemerkenswert, auf naturwissenschaftliche Tatsachen gegründet und durch und durch logisch. Manche Folgerungen können in Frage gestellt werden, aber an der Intelligenz und den Kenntnissen des Autors ist kaum ein Zweifel möglich. Es ist schade, daß die Bedingung der zehn Abende mit den Umständen unvereinbar ist, sonst würden wir manches Interessante zu hören bekommen.«
»Ist das Ihr Ernst?« fragte M me . Wirginskaja den Hinkenden, sogar ein wenig beunruhigt. »Wo doch dieser Mann, der mit den Menschen nichts anzufangen weiß, neun Zehntel von ihnen zu Sklaven macht? Ich habe ihm schon immer mißtraut.«
»Sie meinen Ihren Herrn Bruder?« fragte der Hinkende.
»Verwandtschaft?! Wollen Sie sich vielleicht über mich lustig machen?«
»Und außerdem ist es eine Gemeinheit, wenn man für die Aristokraten arbeitet und ihnen folgt wie Göttern!« warf die Studentin wütend ein.
»Ich biete keine Gemeinheit, sondern ein Paradies, das irdische Paradies, und ein anderes als das meine kann es auf Erden nicht geben«, resümierte Schigaljow herrisch.
»Und ich würde statt des Paradieses«, rief Ljamschin, »diese neun Zehntel der Menschheit, wenn man schon einmal keine Verwendung für sie hat, an einer Stelle versammeln und in die Luft jagen, damit nur eine Handvoll Gebildeter übrigbleibt, die dann wissenschaftlich leben und streben könnten.«
»Nur ein Narr kann so reden!« brauste die Studentin auf.
»Er ist ein Narr, aber sehr nützlich«, flüsterte ihr M me. Wirginskaja ins Ohr.
»Möglicherweise wäre das die günstigste Lösung
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