Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
des Problems«, wandte sich Schigaljow interessiert zu Ljamschin. »Sie ahnen natürlich nicht, wie tief der Gedanke ist, den Sie das Glück hatten auszusprechen, mein lustiger Herr. Aber da Ihre Idee nahezu unausführbar ist, gilt es, sich mit dem irdischen Paradies zu begnügen, wenn es denn schon einmal so genannt wurde.«
»Eigentlich ziemlicher Blödsinn«, entfuhr es Werchowenskij scheinbar unwillkürlich. Übrigens saß er völlig gleichgültig da und fuhr, ohne aufzublicken, fort, sich die Nägel zu schneiden.
»Wieso Blödsinn?« Der Hinkende fiel ihm ins Wort, als hätte er nur auf die Gelegenheit gelauert, einen Streit vom Zaune zu brechen. »Wieso Blödsinn? Herr Schigaljow ist zum Teil ein Fanatiker der Menschenliebe; Sie erinnern sich doch daran, daß bei Fourier, insbesondere bei Cabet und sogar bei Proudhon eine Menge der despotischsten und fanatischsten Vorentscheidungen zu diesem Problem zu finden sind. Herr Schigaljow bietet sogar eine möglicherweise weit nüchternere Lösung an. Ich möchte Ihnen versichern, daß es beinahe unmöglich ist, ihm in manchem die Zustimmung zu verweigern, wenn man sein Buch gelesen hat. Vielleicht entfernt er sich weniger als alle anderen vom Boden der Realität, und sein irdisches Paradies ist beinahe das echte, dasselbe, über dessen Verlust die Menschheit trauert, vorausgesetzt, daß es einmal existiert hat.«
»Ich hab’s ja geahnt, daß es einen Zusammenstoß gibt!« murmelte Werchowenskij abermals.
»Erlauben Sie«, der Hinkende ereiferte sich immer mehr, »Gespräche und Meinungen über die künftige soziale Ordnung sind eine brennende Notwendigkeit für nahezu alle denkenden modernen Menschen. Herzen hat ein ganzes Leben lang nichts anderes im Sinn gehabt. Belinskij hat, ich weiß es aus erster Quelle, ganze Abende mit seinen Freunden debattiert und sogar die kleinsten Kleinigkeiten, sozusagen die Küchendetails der künftigen sozialen Ordnung, im voraus festgelegt.«
»Mancher hat darüber sogar den Verstand verloren«, bemerkte plötzlich der Major.
»Immerhin ist es besser, sich im Gespräch wenn auch nur irgendwie zu verständigen, als dazusitzen und mit der Miene eines Diktators zu schweigen«, zischte Liputin, als hätte er endlich Mut gefaßt, die Attacke zu beginnen.
»Ich meinte nicht Schigaljow, als ich vorhin ›Blödsinn‹ gesagt habe«, nuschelte Werchowenskij, »sehen Sie, meine Herrschaften!« Er hob für einen Augenblick seine Augen, »ich halte alle diese Bücher, diese ganzen Fouriers, Cabets, dieses ganze ›Recht auf Arbeit‹, diese ganze Schigaljowerei für nichts anderes als für Romane, die man zu Hunderttausenden verfassen kann. Für einen ästhetischen Zeitvertreib. Ich verstehe, daß Sie sich in Ihrem Städtchen langweilen und sich darum auf jedes beschriebene Papier stürzen.«
»Erlauben Sie!« Dem Hinkenden fiel es schwer, ruhig auf seinem Stuhl sitzen zu bleiben. »Wir sind zwar provinziell und deshalb selbstverständlich zu bedauern, aber wie uns immerhin bekannt ist, hat sich auf der Welt einstweilen noch nichts derart Neues ereignet, daß wir in Tränen ausbrechen müßten, weil wir es verschlafen hätten. Es wird uns beispielsweise vorgeschlagen, in verschiedenen Flugblättern ausländischer Provenienz, uns zusammenzuschließen und illegale Gruppen zu bilden, einzig zu dem Zweck allgemeiner Destruktion, mit der Begründung, die Welt sei krank und sämtliche Heilmittel blieben wirkungslos, aber wenn man hundert Millionen Köpfe radikal abschlagen und sich dadurch eine gewisse Erleichterung verschaffen würde, könne man geschickter über den Graben setzen. Der Gedanke ist ausgezeichnet, ohne Zweifel, aber mit der Wirklichkeit mindestens im gleichen Maße unvereinbar wie die ›Schigaljowerei‹, die Sie vorhin so von oben herab beurteilt haben.«
»Ja, ja, ich bin nicht hierhergekommen, um Erörterungen anzustellen«, Werchowenskij schien sich mit dem schwerwiegenden Satz verraten zu haben, tat jedoch so, als ob er den eigenen Schnitzer nicht bemerkte – und rückte die Kerze näher zu sich heran, um besseres Licht zu haben.
»Bedauerlich, sehr bedauerlich, daß Sie nicht gekommen sind, um Erörterungen anzustellen, und ebenso bedauerlich, daß Sie im Augenblick so sehr mit Ihrer Toilette beschäftigt sind.«
»Und was haben Sie gegen meine Toilette?«
»Hundert Millionen Köpfe sind ebenso schwer in die Tat umzusetzen, wie die Welt durch Propaganda zu verändern. Vielleicht sogar noch schwerer, insbesondere in
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