Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
sehr gründlich nach ihnen sucht und bei der Petersburger Polizei nachforscht, man Spuren finden kann. Die Wohnung war im Hinterhaus, in der Ecke. Alles geschah im Juni. Das Haus war hellblau.
Eines Tages war von meinem Tisch das Federmesser verschwunden, das ich nie benutzte und das nur herumlag. Ich sagte das der Wirtin, ohne daran zu denken, daß sie deswegen ihre Tochter prügeln würde. Sie aber hatte gerade das Kind angeschrien (ich lebte ganz einfach, und sie machten mit mir keine Umstände), weil ein Stück Stoff verschwunden war und sie annahm, das Mädchen hat es genommen, und es sogar an den Haaren gerissen. Als sich dieser Lappen dann unter dem Tischtuch wiederfand, wollte das Mädchen kein einziges vorwurfsvolles Wort sagen und sah schweigend vor sich hin. Ich bemerkte das und bemerkte jetzt auch zum ersten Mal das Gesicht des Kindes, bisher war es nur ein flüchtiger Eindruck gewesen. Sie war weißblond und sommersprossig, das Gesicht ganz gewöhnlich, aber viel Kindliches und Stilles, außerordentlich Stilles. Der Mutter hatte es mißfallen, daß die Tochter ihr wegen der unverdienten Schläge keine Vorwürfe machte, und sie hatte schon mit der Faust ausgeholt, aber doch nicht zugeschlagen, mein Federmesser kam ihr gerade gelegen. Tatsächlich war außer uns dreien niemand in der Wohnung gewesen, und zu mir hinter den Paravent kam nur das Mädchen. Das Weib geriet in Wut, weil sie das erste Mal zu Unrecht gestraft hatte, stürzte sich auf den Reisigbesen, riß ein paar Reiser heraus und schlug das Kind so lange, bis sich Striemen zeigten, vor meinen Augen. Matrjoscha schrie unter der Rute nicht, aber bei jedem Schlag war ein eigenartiges Schluchzen zu hören. Und danach schluchzte sie sehr, eine ganze Stunde.
Aber vorher war dieses geschehen: In demselben Augenblick, da die Wirtin sich auf den Besen stürzte, um die Reiser herauszurupfen, fand ich das Federmesser wieder, auf meinem Bett, wohin es irgendwann vom Tisch gefallen sein mußte. Mir kam sofort der Gedanke, es nicht zu sagen, damit sie gezüchtigt würde. Ich entschloß mich sofort: In solchen Augenblicken stockt mir immer der Atem. Aber ich habe mir vorgenommen, alles in deutlicheren Worten zu erzählen, damit nun nichts mehr verborgen bleibt.
Jede außerordentlich schmähliche, maßlos erniedrigende, niederträchtige und vor allem lächerliche Lage, in die ich in meinem Leben geriet, erregte in mir außer einem maßlosen Zorn auch ein unmäßiges Lustgefühl. Ebenso im Augenblick, da ich ein Verbrechen beging, oder im Augenblick jäher Lebensgefahr. Würde ich stehlen, dann würde ich mich beim Stehlen am Bewußtsein meiner Niedertracht berauschen. Es war nicht die Niedertracht, die ich liebte (hier war mein Verstand völlig gesund), es ging mir um den Rausch des quälenden Bewußtseins meiner Gemeinheit. Ebenso empfand ich jedes Mal, wenn ich an der Barriere stand und auf den Schuß meines Gegners wartete, jene schmähliche und unbändige Empfindung, und zwar einmal ganz besonders stark. Ich gebe zu, daß ich sie oft gesucht habe, denn sie ist für mich die stärkste von allen dieser Art. Wenn ich geohrfeigt wurde (und ich wurde in meinem Leben zweimal geohrfeigt), war es ebenso, trotz meines furchtbaren Zorns. Bezähmt man aber solchen Zorn, so übersteigt die Lust alles, was man sich vorstellen kann. Niemals habe ich zu jemand darüber gesprochen, nicht einmal andeutungsweise, und habe es als etwas Schmähliches und Schändliches verheimlicht. Als ich jedoch einmal in einer Petersburger Kneipe heftig verprügelt und an den Haaren gerissen wurde, blieb diese Empfindung aus, ich fühlte nur einen unglaublichen Zorn und habe, nicht im mindesten betrunken, nur zurückgeschlagen. Hätte mich aber damals, im Ausland, jener Franzose, der Vicomte, an den Haaren gepackt und zu Boden gezerrt, der mich auf die Backe schlug und dem ich dafür den Unterkiefer wegschoß, so würde ich jenen Rausch empfunden und vielleicht keinen Zorn empfunden haben. So schien es mir damals.
Dies alles, damit jeder weiß, daß dieses Gefühl mich niemals überwältigte und daß ich die ganze Zeit vollständig bei Bewußtsein blieb (und auf dem Bewußtsein beruhte ja dies alles!). Und wenn es sich auch meiner bemächtigte und mich bis zur Unbesonnenheit trieb, so doch nie bis zur Selbstvergessenheit. Es loderte in mir wie richtiges Feuer auf, aber ich war jederzeit in der Lage, es zu beherrschen, zu löschen und ihm sogar auf seinem Höhepunkt Einhalt zu gebieten,
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