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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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ich wollte nur nie Einhalt gebieten. Ich bin überzeugt, daß ich mein ganzes Leben als Mönch hätte zubringen können, trotz der animalischen Sinnlichkeit, die mir gegeben ist und die ich stets weckte. Nachdem ich bis zu meinem sechzehnten Lebensjahr mit unglaublicher Maßlosigkeit jenem Laster, zu dem sich Jean-Jacques Rousseau bekennt, gefrönt hatte, hörte ich in demselben Augenblick damit auf, in dem ich es mir vorgenommen hatte, in meinem siebzehnten Lebensjahr. Ich bin stets Herr meiner selbst, sobald ich es will. Es soll klar sein, daß ich meine Verbrechen weder durch das Milieu noch durch irgendwelche Krankheiten entschuldigt sehen möchte.
    Als die Exekution beendet war, steckte ich das Messerchen in meine Westentasche, ging fort und warf es in ziemlicher Entfernung vom Haus auf die Straße, damit niemals jemand etwas erfährt. Dann wartete ich zwei Tage. Das Mädchen hatte geweint und war noch schweigsamer geworden; ich bin überzeugt, daß sie mir gegenüber keinerlei ungute Gefühle hatte. Allerdings schämte sie sich wahrscheinlich ein wenig, daß sie auf diese Weise in meiner Gegenwart gestraft worden war, und vermutlich hat sie unter den Schlägen deshalb nicht geschrien, sondern nur gewimmert, weil ich dabeistand und alles sah. Aber auch diese Schande rechnete sie in ihrer Kindlichkeit wahrscheinlich nur sich selber zu. Bisher hatte sie sich vor mir möglicherweise nur gefürchtet, und auch dies nicht persönlich, sondern vor dem Untermieter, dem fremden Mann, und sie war wohl auch sehr schüchtern.
    Damals, in jenen zwei Tagen, fragte ich mich manchmal, ob ich meine beschlossene Absicht aufgeben und fallenlassen könnte, und fühlte sofort, daß ich es könnte, jederzeit und augenblicklich. Um diese Zeit wollte ich mich selbst töten, da ich an der Krankheit der Gleichgültigkeit litt, übrigens weiß ich nicht, warum. Aber in diesen zwei, drei Tagen (soviel Zeit mußte ich unbedingt verstreichen lassen, damit das Mädchen alles vergaß) verübte ich, vermutlich, um mich von dem unaufhörlichen Traum abzulenken oder nur zum Spaß, in dem Garni einen Diebstahl. Es war der einzige Diebstahl meines Lebens.
    In diesen möblierten Zimmern hausten viele Menschen, unter anderem lebte dort ein Beamter mit seiner Familie in zwei kleinen Zimmern, er war etwa vierzig, nicht dumm und von anständigen Manieren, aber arm. Ich suchte seine Bekanntschaft nicht, und er fürchtete sich vor der Gesellschaft, die mich damals umgab. Er hatte gerade sein Gehalt bekommen, fünfunddreißig Rubel. Die Hauptsache war, daß ich gerade wirklich Geld brauchte (vier Tage später traf es mit der Post ein), so daß ich gleichsam aus Not und nicht zum Spaß stahl. Ich handelte dreist und unverfroren: Ich betrat einfach sein Zimmer, als er mit seiner Frau und den Kindern in dem anderen Verschlag zu Mittag aß. Gleich neben der Tür auf dem Stuhl lag zusammengelegt sein Uniformrock. Mir war dieser Gedanke schon im Korridor aufgeblitzt. Ich griff in die Tasche und zog das Portemonnaie heraus. Aber der Beamte hatte etwas gehört und schaute aus dem Nebenzimmer heraus. Er hatte wohl sogar wenigstens irgend etwas gesehen, aber da er nicht alles gesehen hatte, glaubte er natürlich seinen eigenen Augen nicht. Ich sagte, ich wäre über den Korridor gegangen und eingetreten, um einen Blick auf seine Wanduhr zu werfen. »Sie steht, wenn’s beliebt«, antwortete er, und ich ging hinaus.
    Damals trank ich viel, und in dem Garni scharte sich um mich eine ganze Kumpanei, darunter auch Lebjadkin. Das Portemonnaie mit dem Kleingeld warf ich fort, die Scheine behielt ich. Es waren zweiunddreißig Rubel, drei Rote und zwei Gelbe. Ich machte sofort einen Roten klein und schickte nach Champagner, dann den zweiten Roten und schließlich den dritten. Ungefähr vier Stunden später, es war schon Abend, trat mir der Beamte im Korridor entgegen.
    »Als Sie vorhin bei uns vorbeikamen, Nikolaj Wsewolodowitsch, haben Sie da nicht zufällig einen Uniformrock vom Stuhl gestreift? … Er lag neben der Tür.«
    »Nein, ich kann mich nicht erinnern. Hat denn dort bei Ihnen ein Uniformrock gelegen?«
    »Ja, wenn’s beliebt.«
    »Auf dem Boden?«
    »Zuerst auf dem Stuhl und dann auf dem Boden.«
    »Und haben Sie den Rock aufgehoben?«
    »Ja, ich habe ihn aufgehoben.«
    »Na also, was wünschen Sie noch?«
    »Wenn dem so ist, dann wünsche ich nichts, wenn’s beliebt …«
    Er traute sich nicht, es auszusprechen, und er traute sich auch nicht, jemandem im

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