Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
blicken. Ich blieb etwa eine Stunde und ging dann.
Gegen Abend verspürte ich wieder Angst, diesmal aber unvergleichlich stärker. Natürlich konnte ich alles abstreiten, aber man konnte mich auch überführen. Ich sah das Zuchthaus vor mir. Ich hatte früher nie Angst verspürt und habe außer in diesem einen Fall in meinem Leben niemals, weder vorher noch hinterher, irgend etwas gefürchtet. Und Sibirien schon gar nicht, obwohl ich mehr als einmal hätte verbannt werden können. Diesmal aber war ich erschrocken und verspürte wirkliche Angst, ich weiß nicht, warum, zum ersten Mal in meinem Leben – eine außerordentlich quälende Empfindung. Außerdem, gegen Abend, in meinem Zimmer, begann ich sie so zu hassen, daß ich mich entschloß, sie zu töten. Den stärksten Haß empfand ich bei der Erinnerung an ihr Lächeln. Verachtung und unendlicher Ekel regten sich in mir, sobald ich daran dachte, wie sie, als alles vorbei war, in die Ecke gestürzt war und die Hände vors Gesicht geschlagen hatte, mich packte eine unbeschreibliche Wut, darauf folgte ein Schüttelfrost; als ich gegen Morgen zu fiebern begann, überfiel mich von neuem die Angst, die aber nun so stark wurde, daß ich keine schlimmere Qual kenne. Aber das Mädchen haßte ich nicht mehr; jedenfalls nicht bis zum Paroxysmus, wie abends. Ich stellte fest, daß große Angst Haß und Rachgier völlig auslöscht.
Ich erwachte gegen Mittag, gesund, und wunderte mich sogar über einige meiner gestrigen Gefühle. Ich war jedoch schlechter Laune und mußte abermals in die Gorochowaja gehen, trotz allen Widerwillens. Ich weiß noch, daß ich mir in diesem Augenblick furchtbar wünschte, mit jemandem einen Streit vom Zaun zu brechen, aber nur einen ernsten. Als ich jedoch in die Gorochowaja kam, fand ich in meinem Zimmer Nina Saweljewna, besagtes Dienstmädchen, das bereits seit einer Stunde auf mich wartete. Ich liebte dieses Mädchen überhaupt nicht, so daß sie ein wenig ängstlich war, ob ich über ihren unerbetenen Besuch nicht in Zorn geraten würde. Aber plötzlich war sie mir äußerst willkommen. Sie sah nicht übel aus, gab sich aber bescheiden und hatte Manieren, wie sie der Kleinbürger überaus schätzt, so daß meine Wirtin, dieses Frauenzimmer, sie schon immer vor mir gelobt hatte. Ich traf die beiden beim Kaffeetrinken an, die Wirtin höchst erfreut durch die angenehme Unterhaltung. In einer Ecke ihrer Stube bemerkte ich Matrjoscha. Sie stand da und sah ihre Mutter und den Gast unverwandt an. Als ich eintrat, versteckte sie sich nicht wie damals und lief auch nicht fort. Ich war zärtlich zu Nina und schloß die Tür zu den Wirtsleuten ab, was ich schon lange nicht mehr getan hatte, so daß Nina beim Abschied überglücklich war. Ich begleitete sie hinaus und kehrte erst nach zwei Tagen in die Gorochowaja zurück. Ich war der Sache bereits überdrüssig.
Ich beschloß, allem ein Ende zu machen, die Wohnung zu kündigen und Petersburg zu verlassen. Aber als ich kam, um das Zimmer zu kündigen, fand ich die Wirtin aufgeregt und besorgt vor: Matrjoscha war seit zwei Tagen krank, hatte jede Nacht Fieber und phantasierte nachts. Selbstverständlich fragte ich, was sie denn im Fieber rede (wir unterhielten uns flüsternd in meinem Zimmer). Die Wirtin flüsterte, sie rede immerfort »rein Schreckliches«: »›Ich habe‹, sagt sie, ›Gott umgebracht.‹« Ich bot ihr an, auf meine Kosten einen Arzt zu holen, aber sie wollte nicht: »Wenn Gott will, wird alles auch so gut. Sie liegt ja nicht die ganze Zeit, tagsüber ist sie auf. Gerade ist sie in den Laden gelaufen.« Ich entschloß mich, Matrjoscha allein zu treffen, und da die Wirtin beiläufig erwähnte, daß sie gegen fünf auf der Petersburger Seite sein muß, nahm ich mir vor, abends wiederzukommen.
Ich aß in einem Gasthaus zu Mittag. Punkt Viertel nach fünf kehrte ich zurück. Ich benutzte immer meinen Schlüssel. Außer Matrjoscha war niemand da. Sie lag in der Stube hinter dem Paravent auf dem Bett ihrer Mutter, und ich sah, wie sie den Kopf hervorstreckte, tat aber so, als hätte ich nichts bemerkt. Alle Fenster standen weit offen. Die Luft war lau, es war sogar heiß. Ich schritt im Zimmer ein paarmal auf und ab und setzte mich dann auf das Sofa. Ich erinnere mich an jeden Augenblick. Es bereitete mir ein entschiedenes Vergnügen, Matrjoscha nicht anzusprechen. Ich saß da und wartete eine ganze Stunde, und plötzlich sprang sie selber hinter dem Paravent hervor. Ich hatte gehört, wie
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