Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Haus davon zu erzählen, so schüchtern sind diese Leute. Übrigens wurde ich im ganzen Haus schrecklich gefürchtet und geachtet. Ich habe ihm später gern in die Augen gesehen, ungefähr zweimal im Korridor. Dann wurde es langweilig.
Sobald drei Tage verstrichen waren, kehrte ich in die Gorochowaja zurück. Die Mutter wollte gerade mit einem Bündel irgendwohin gehen; der Vater war selbstverständlich nicht zu Hause. Ich und Matrjoscha blieben allein. Die Fenster waren weit geöffnet. Das Haus war von Handwerkern bewohnt, und den ganzen Tag hörte man aus allen Stockwerken Hämmern und Singen. Schon eine Stunde lang waren wir in der Wohnung allein. Matrjoscha saß in ihrer Kammer auf einem Schemel in der Ecke, hatte mir den Rücken zugewandt und machte sich mit einer Nadel zu schaffen. Dann begann sie plötzlich leise zu singen, ganz leise, wie sie es zuweilen tat. Ich zog meine Uhr hervor und sah nach der Zeit, es war zwei. Mein Herz begann zu klopfen. Aber ich fragte mich plötzlich noch einmal: kann ich noch einhalten? Und ich antwortete mir sofort, daß ich es kann. Ich erhob mich und schlich mich an sie heran. Sie hatten an den Fenstern viele Geranien, und die Sonne schien furchtbar grell. Ich setzte mich leise neben sie auf den Fußboden. Sie fuhr zusammen und erschrak zuerst unglaublich und sprang auf. Ich nahm ihre Hand und küßte sie leise, zog sie auf den Schemel zurück und sah ihr nun in die Augen. Daß ich ihr die Hand geküßt hatte, brachte sie plötzlich zum Lachen, wie ein kleines Kind, aber nur eine Sekunde lang, denn sie sprang zum zweiten Mal heftig auf, und diesmal mit einem solchen Entsetzen, daß ihr Gesicht sich verzerrte. Sie sah mich mit entsetzten starren Augen an, ihre Lippen verzogen sich zum Weinen, aber sie schrie trotzdem nicht. Ich begann von neuem, ihre Hände zu küssen, nahm sie auf den Schoß, küßte ihr Gesicht und ihre Füße. Als ich ihr die Füße küßte, fuhr sie zurück und lächelte, als schämte sie sich, aber es war ein irgendwie schiefes Lächeln. Das ganze Gesicht flammte vor Scham. Ich flüsterte ihr immerfort irgend etwas zu. Dann geschah plötzlich etwas Seltsames, das ich nie vergessen werde und das mich sehr verwunderte: Das Mädchen schlang die Arme um meinen Hals und begann plötzlich, mich furchtbar zu küssen. Ihr Gesicht drückte völlige Verzückung aus. Ich wäre beinahe aufgestanden und weggegangen – so unangenehm war mir das bei einem so kleinen Kind –, aus Mitleid. Aber ich überwand das jähe Gefühl meiner Angst und blieb.
Als alles vorbei war, war sie verlegen. Ich versuchte nicht, ihr zuzureden, und liebkoste sie nicht mehr. Sie sah mich an und lächelte schüchtern. Ihr Gesicht kam mir plötzlich töricht vor. Ihre Verlegenheit wuchs von Augenblick zu Augenblick. Schließlich schlug sie die Hände vors Gesicht und blieb unbeweglich, das Gesicht zur Wand gekehrt, in einer Ecke stehen. Ich fürchtete, sie könnte wieder, wie vorhin, erschrecken, und verließ schweigend das Haus.
Ich nehme an, daß alles Vorgegangene von ihr als eine grenzenlose Häßlichkeit empfunden wurde und sie mit tödlichem Entsetzen erfüllte. Trotz aller russischen Flüche, die sie seit den Windeln gehört haben mußte und aller anzüglichen Reden, davon bin ich fest überzeugt, war sie noch völlig ahnungslos. Wahrscheinlich glaubte sie letzten Endes, daß sie ein unvorstellbares Verbrechen, eine Todsünde begangen hätte – »Gott umgebracht«.
In der darauffolgenden Nacht fand die Schlägerei in der Kneipe statt, die ich bereits erwähnt habe. Aber am nächsten Morgen wachte ich in meinem Zimmer auf, Lebjadkin hatte mich nach Hause gebracht. Der erste Gedanke beim Erwachen war: Hat sie es gesagt oder nicht; es war ein Augenblick wirklicher Angst, wenn auch noch keiner sehr heftigen. Ich war an diesem Morgen sehr gut gelaunt und schrecklich freundlich zu allen, und die ganze Kumpanei war sehr zufrieden mit mir. Aber ich ließ sie allein und ging in die Gorochowaja. Ich traf sie schon unten, im Hauseingang. Sie kam aus dem Laden, wo sie Zichorie holen sollte. Sobald sie mich sah, schoß sie in furchtbarer Angst die Treppe hinauf. Als ich eintrat, hatte die Mutter ihr bereits zwei Backenstreiche versetzt, weil sie Hals über Kopf in die Wohnung hereingestürzt war, wodurch der eigentliche Grund ihres Erschreckens verdeckt wurde. Vorläufig war also alles in Ordnung. Sie hatte sich irgendwohin verkrochen und ließ sich die ganze Zeit, solange ich blieb, nicht
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