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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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hätte als Vater schon den bloßen Gedanken an eine derartige Hoffnung mit Entrüstung von sich gewiesen. Wie dem auch sei, bisher waren uns lauter sonderbare Gerüchte über Petruscha zu Ohren gekommen. Zunächst, nach Abschluß des Universitätsstudiums, vor etwa sechs Jahren, hatte er sich in Petersburg ohne Beschäftigung herumgetrieben. Plötzlich erreichte uns die Nachricht, er habe sich an der Abfassung einer heimlich verbreiteten Proklamation beteiligt und sei vor Gericht gestellt worden. Und dann, er halte sich plötzlich im Ausland auf, in der Schweiz, in Genf – er war also am Ende gar auf der Flucht.
    »Ich bin erstaunt«, dozierte Stepan Trofimowitsch damals vor uns, sichtlich verlegen, »Petruscha, c’est une si pauvre tête ! Er hat ein gutes Herz, er ist vornehm, sehr empfindsam, und ich habe mich damals in Petersburg so sehr gefreut, wenn ich ihn mit der modernen Jugend verglich, aber c’est un pauvre sire tout de même  … Und, wissen Sie, das ist ihre Sentimentalität, weil sie alle noch nicht ganz gar sind! Sie sind weniger vom Realismus als vielmehr von der empfindsamen, der idealen Seite des Sozialismus gefesselt, von seiner sozusagen religiösen Nuance, seiner Poesie … und alles, versteht sich, nach fremden Noten. Aber ich, was ist mit mir! Ich habe hier so viele Feinde und dort noch mehr, sie werden alles dem väterlichen Einfluß zuschreiben … Mein Gott! Mein Petruscha als Beweger! In welcher Zeit leben wir!«
    Petruscha schickte übrigens sehr bald darauf aus der Schweiz seine genaue Adresse, für die üblichen Geldsendungen: Also muß er doch kein richtiger Emigrant gewesen sein. Und nun, nachdem er vier Jahre im Ausland verbracht hatte, tauchte er auf einmal wieder in seinem Vaterland auf und kündigte sein baldiges Eintreffen an: also muß damals doch keine Anklage gegen ihn vorgelegen haben. Noch mehr, irgend jemand schien sogar Anteil an ihm zu nehmen und ihn zu protegieren. Er schrieb jetzt aus dem Süden Rußlands, wo er sich in privatem, jedoch wichtigem Auftrag aufhielt und irgend etwas zu erledigen hatte. Das war ja alles ausgezeichnet, aber woher sollte man denn die restlichen sieben- oder achttausend Rubel nehmen, um das anständige Maximum nach dem Verkauf des Besitztums zu erzielen? Wie aber, wenn sich ein Geschrei erheben und es anstelle des erhabenen Tableaus zu einem Prozeß kommen sollte? Irgend etwas sagte Stepan Trofimowitsch, daß sein empfindsamer Petruscha zu keinerlei Verzicht bereit sein werde. »Wie kommt das? Es ist mit aufgefallen«, raunte mir Stepan Trofimowitsch einmal zu, »wie kommt das, daß all diese engagierten Sozialisten und Kommunisten gleichzeitig unglaubliche Geizhälse und raffgierige Egoisten sind, und das geht sogar so weit, daß, je bedingungsloser einer Sozialist ist, je radikaler, sein Besitztrieb desto stärker ist … Warum nur? Liegt das etwa auch an der Sentimentalität?« Ich weiß nicht, ob an Stepan Trofimowitschs Überlegungen etwas Wahres ist; ich weiß nur, daß seinem Petruscha über den Verkauf des Wäldchens und über alles andere gewisse Informationen vorlagen und daß Stepan Trofimowitsch wußte, daß seinem Sohn diese Informationen vorlagen. Ich hatte auch Gelegenheit, Petruschas Briefe an seinen Vater zu lesen; er schrieb äußerst selten, einmal im Jahr oder noch seltener. Nur zuletzt, als er sein baldiges Kommen ankündigte, trafen zwei Briefe unmittelbar nacheinander ein. Alle seine Briefe waren kurz und trocken, sie enthielten nur Anweisungen, und da Vater und Sohn sich noch von Petersburg her zeitgemäß duzten, erinnerten Petruschas Briefe an jene altertümlichen Schriftstücke, die die Gutsherren aus den Metropolen ihren mit der Verwaltung der Güter betrauten Leibeigenen zukommen ließen. Und da flatterten ihm plötzlich diese erlösenden achttausend aus dem Vorschlag Warwara Petrownas entgegen, wobei diese ihm deutlich zu verstehen gab, daß anderswoher nichts entgegenflattern würde. Selbstverständlich willigte Stepan Trofimowitsch ein.
    Sowie Warwara Petrowna gegangen war, ließ er mich holen, vor allen anderen aber schloß er sich für den ganzen Tag ein. Natürlich, er vergoß ein paar Tränen, sprach viel und gut, verlor immer wieder den Faden, kreierte nebenbei ein Wortspiel, war mit demselben zufrieden, erlitt einen leichten Anfall von Cholerine – kurz, alles nahm seinen gewohnten Gang. Danach holte er das Portrait seiner vor zwanzig Jahren verstorbenen Deutschen hervor und rief mit kläglicher

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