Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Fenster saß und die kleine rote Spinne beobachtete, mir vorgestellt hatte, wie ich mich auf die Zehenspitzen stellen und mit dem Auge durch den Spalt spähen würde. Ich erwähne hier diese Bagatelle, weil ich unbedingt beweisen will, daß ich im Vollbesitz meiner geistigen Fähigkeiten war. Ich spähte lange durch den Spalt, drinnen war es dunkel, aber nicht völlig. Endlich unterschied ich, was nötig war … für die gewünschte vollkommene Gewißheit.
Ich beschloß endlich, daß ich gehen konnte, und ging die Treppe hinab. Ich begegnete niemand. Etwa drei Stunden später saßen wir alle bei mir, in Hemdsärmeln, tranken Tee und spielten mit alten Karten. Lebjadkin trug Gedichte vor. Es wurde viel erzählt, und wie auf Verabredung lauter Amüsantes und Komisches und nicht so dumm wie sonst. Kirillow war auch da. Keiner trank, obwohl eine Flasche Rum dastand. Nur Lebjadkin schenkte sich ein. Prochor Malow bemerkte beiläufig, daß, »sobald Nikolaj Wsewolodowitsch zufrieden und gutgelaunt sind, unsere Gesellschaft sich lustig und gescheit unterhält«. Ich habe mir das damals gemerkt.
Es war schon elf, als die Tochter des Hausknechts von meinen Wirtsleuten aus der Gorochowaja mit der Nachricht gelaufen kam, Matrjoscha habe sich erhängt. Ich ging zusammen mit dem Mädchen hin und sah, daß die Wirtin selbst nicht wußte, warum sie mich holen ließ. Sie heulte und wälzte sich auf dem Boden, es war ein furchtbares Durcheinander, eine Menge Menschen und Polizei. Ich blieb eine Weile im Vorraum stehen und ging.
Man hatte mich kaum behelligt, jedoch einige der üblichen Fragen gestellt. Aber außer der Tatsache, daß das Mädchen krank gewesen wäre und in den letzten Tagen im Fieber phantasiert haben sollte, so daß ich angeboten hätte, auf meine Kosten einen Arzt zu holen, konnte ich keinerlei Angaben machen. Ich wurde auch nach dem Federmesser gefragt, und ich sagte, die Wirtin habe sie mit der Rute gestraft, aber das sei nichts Besonderes gewesen. Niemand wußte, daß ich am Abend noch einmal dagewesen war. Von dem Ergebnis der medizinischen Untersuchung habe ich nichts gehört.
Etwa eine Woche lang ging ich nicht mehr hin. Ich kam, als sie schon lange beerdigt war, um mein Zimmer zu kündigen. Die Wirtin weinte immer noch, war aber schon wie früher mit ihren Lumpen und mit Nähen beschäftigt. »Es war Ihr Messerchen, weshalb ich sie so gekränkt habe«, sagte sie zu mir, aber nicht sonderlich vorwurfsvoll. Ich kündigte unter dem Vorwand, daß ich mich nun in dieser Wohnung unmöglich mit Nina Saweljewna treffen könnte. Beim Abschied lobte sie Nina Saweljewna noch einmal. Bevor ich ging, zahlte ich die Miete und schenkte ihr fünf Rubel.
Ich fand damals das Leben überhaupt sehr langweilig, bis zum Wahnsinn. Die Begebenheiten in der Gorochowaja hätte ich, sobald die Gefahr vorüber war, völlig vergessen, ebenso wie alles, was um mich her geschah, wenn ich mich nicht einige Zeit voller Grimm an meine Feigheit erinnert hätte. Ich ließ meine Wut an jedem aus, der in meine Nähe kam. Zu derselben Zeit, aber keineswegs aus einem besonderen Grund, kam mir der Gedanke, mein Leben auf irgendeine Weise zu ruinieren, und zwar so widerlich wie nur möglich. Schon vor einem Jahr hatte ich die Absicht gehabt, mich zu erschießen, aber nun bot sich mir etwas Besseres. Eines Tages fiel mein Blick auf die hinkende Marja Timofejewna Lebjadkina, die gelegentlich als Magd die Schlafstellenmieter bediente und die damals noch nicht verrückt, sondern nur eine überspannte Idiotin und im stillen über beide Ohren in mich verliebt war (meine Kumpane hatten das ausspioniert), und ich entschloß mich plötzlich, sie zu heiraten. Der Gedanke an die Heirat eines Stawrogin mit dieser erbärmlichen Kreatur kitzelte meine Nerven. Etwas Gräßlicheres konnte man sich nicht vorstellen. Aber ich möchte nicht entscheiden, ob dabei, wenigstens unbewußt (selbstverständlich unbewußt), nicht der Grimm auf die niedrige Feigheit, die sich nach der Geschichte mit Matrjoscha meiner bemächtigt hatte, eine gewisse Rolle spielte. Eigentlich nicht, jedenfalls bin ich nicht nur wegen einer »Wette um eine Flasche Wein nach einem reichlich begossenen Essen« vor den Altar getreten. Meine Trauzeugen waren Kirillow und Pjotr Werchowenskij, der sich damals zufällig in Petersburg aufhielt, und Lebjadkin selbst und Prochor Malow (inzwischen verstorben). Sonst hat niemand etwas davon erfahren, und die Trauzeugen haben ihr Wort gegeben zu
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