Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
die Augen aufschlug, die zum ersten Mal in meinem Leben buchstäblich tränennaß waren. Eine Glücksempfindung, die mir bis dahin unbekannt war, durchzog sogar fast schmerzhaft mein Herz. Es war bereits Abend, durch das Fenster meines kleinen Zimmers, durch das Laub der auf dem Fensterbrett stehenden Blumen drang ein ganzes Bündel greller schräger Strahlen der untergehenden Sonne und übergoß mich mit Licht. Ich schloß schnell die Augen in dem brennenden Wunsch, den entflohenen Traum zurückzurufen, da war es mir, als ob ich plötzlich, mitten im hellen, so hellen Licht ein winziges Pünktchen bemerkte. Nach und nach nahm es Gestalt an, und plötzlich erschien mir eine winzige rote Spinne. Und schon erinnerte ich mich an sie auf dem Geranienblatt, damals, in den ebenso flutenden schrägen Strahlen der untergehenden Sonne. Mir war, als durchbohrte mich etwas, und ich richtete mich im Bett auf … (So war es, wie alles damals geschah!)
Ich sah sie vor mir (oh, nicht mit den Augen! Wäre es doch nur eine wirkliche Vision gewesen!), ich sah Matrjoscha, abgemagert und mit fiebrigen Augen, genauso wie damals, als sie auf meiner Türschwelle stand und nickend ihr winziges Fäustchen gegen mich erhob. Niemals hatte ich etwas so Quälendes erlebt! Die jämmerliche Verzweiflung eines hilflosen zehnjährigen Geschöpfs mit noch unreifem Verstand, das mir drohte (womit? was konnte sie mir antun?) und natürlich nur sich selbst alle Schuld gab! Noch nie war mir etwas Ähnliches geschehen. So blieb ich sitzen, bis die Nacht anbrach, ohne mich zu rühren und ohne auf die Zeit zu achten. Ist es das, was man Gewissensbisse oder Reue nennt? Ich weiß es nicht und kann auch heute nichts darüber sagen. Vielleicht empfinde ich bei der Erinnerung an meine Tat sogar heute noch keinen Ekel. Vielleicht enthält diese Erinnerung sogar heute noch für meine Begierden etwas Lustvolles. Nein – unerträglich ist mir nur dieses Bild, und zwar auf der Schwelle, mit ihren erhobenen und drohenden Fäustchen, nur ihr damaliger Anblick, nur die einzige damalige Minute, nur dieses Nicken mit dem Kopf. Das ist es, was ich nicht ertragen kann, weil es mir seitdem fast täglich erscheint. Es erscheint nicht von selbst, ich rufe es herbei und kann nicht unterlassen, es herbeizurufen, obwohl ich damit nicht leben kann. Oh, wenn ich sie doch einmal mit Augen sähe, wenn auch nur in einer Halluzination!
Ich habe auch noch andere alte Erinnerungen, die diese vielleicht noch übertreffen. Mit einer Frau bin ich noch schlimmer umgegangen, auch sie ist daran gestorben. Ich habe im Duell zwei Unschuldigen das Leben genommen. Ich wurde einmal tödlich beleidigt und habe von meinem Gegner keine Genugtuung verlangt. Ich habe einen Giftmord hinter mir – vorsätzlich, perfekt und unentdeckt. (Falls nötig, bin ich bereit, darüber alles auszusagen.)
Aber warum weckt keine einzige dieser Erinnerungen ähnliches in mir auf? Allenfalls Haß, jedoch nur durch meine jetzige Lage verursacht, denn früher habe ich sie vergessen und von mir gewiesen.
Ich zog danach fast ein ganzes Jahr umher und versuchte, mich irgendwie zu beschäftigen. Ich weiß, ich könnte das Mädchen auch jetzt noch von mir weisen, sobald ich es wollte. Ich bin immer noch unumschränkter Herr meines Willens. Aber das ist es ja eben, daß ich es nie gewollt habe, nicht will und nicht wollen werde; das weiß ich genau. So wird es bleiben, bis ich den Verstand verliere.
In der Schweiz, zwei Monate später, gelang es mir, mich in eine junge Dame zu verlieben, oder, besser gesagt, ich spürte einen Anfall derselben Leidenschaft, begleitet von einem derselben rasenden Ausbrüche, wie ich sie nur früher, nur am Anfang gekannt hatte. Ich fühlte die schreckliche Versuchung, ein neues Verbrechen zu begehen, und zwar Bigamie (denn ich bin bereits verheiratet); aber ich floh, auf den Rat eines anderen jungen Mädchens, dem ich mich fast in allem offenbart hatte. Außerdem hätte mich dieses neue Verbrechen nicht im mindesten von Matrjoscha befreit.
So beschloß ich, diese Blätter drucken zu lassen und dreihundert Exemplare davon nach Rußland mitzunehmen. Wenn es soweit ist, werde ich sie der Polizei und den lokalen Behörden zustellen, gleichzeitig sämtlichen Zeitungsredaktionen mit der Bitte um Veröffentlichung und vielen meiner Bekannten in Petersburg und in ganz Rußland. Gleichzeitig werden sie in Übersetzungen im Ausland erscheinen. Ich weiß, daß die Justiz mich möglicherweise
Weitere Kostenlose Bücher