Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
schweigen. Ich empfand dieses Schweigen immer als eine Niedertracht, aber bis jetzt ist es dabei geblieben, obwohl ich die Absicht hatte, meine Vermählung bekanntzumachen: hiermit mache ich sie bekannt.
Nach der Trauung verreiste ich in die Provinz zu meiner Mutter. Ich verreiste, um mich zu zerstreuen, weil es nicht auszuhalten war. In unserer Stadt hinterließ ich die Idee, ich sei geisteskrank – eine Idee, die sich sogar bis heute erhalten hat und die für mich zweifellos nachteilig ist, wie ich im folgenden erklären werde. Dann verreiste ich ins Ausland und blieb vier Jahre fort.
Ich war im Orient auf Athos, stand acht Stunden bei den Nachtwachen, war in Ägypten, lebte in der Schweiz, war sogar auf Island und saß ein volles akademisches Jahr in Göttingen ab. Im letzten Jahr schloß ich mich sehr eng einer angesehenen russischen Familie in Paris an und zwei jungen russischen Damen in der Schweiz. Vor zwei Jahren, es war in Frankfurt, ging ich an einer Papeterie vorbei und bemerkte unter den photographischen Karten das kleine Bild eines Mädchens, das trotz der eleganten Kinderkleidung große Ähnlichkeit mit Matrjoscha hatte. Ich kaufte die Photographie auf der Stelle und legte sie in meinem Hotelzimmer auf den Kamin. Hier lag sie eine Woche lang unberührt, ich habe sie mir kein einziges Mal angesehen, und als ich von Frankfurt abreiste, vergaß ich, sie mitzunehmen.
Ich führe das ausdrücklich an, um zu beweisen, bis zu welchem Grade ich Herr über meine Erinnerungen und wie unempfindlich ich ihnen gegenüber geworden bin. Ich wies sie ab, alle zusammen, als Masse, und die ganze Masse verschwand gehorsam, jedesmal, sobald ich nur wollte. Ich fand es immer langweilig, mich an Vergangenes zu erinnern, und ich mochte niemals über Vergangenes sprechen, wie es fast alle tun. Und was Matrjoscha betrifft, so habe ich sogar ihre Photographie auf dem Kamin liegenlassen.
Vor ungefähr einem Jahr, es war Frühling, als ich durch Deutschland reiste, fuhr ich in meiner Zerstreutheit über die Bahnstation, wo ich umsteigen mußte, hinaus und geriet auf eine andere Strecke. Man ließ mich beim nächsten Halt aussteigen, es war drei Uhr mittags, ein klarer Tag. Es war ein winziges deutsches Städtchen. Man zeigte mir einen Gasthof. Ich mußte hier warten, der nächste Zug ging um elf Uhr in der Nacht. Ich war sogar froh um dieses Abenteuer, denn ich hatte keine Eile. Der Gasthof erwies sich als armselig und klein, aber mitten im Grünen und rings von Blumenbeeten umgeben. Man wies mir ein enges Zimmer an. Ich speiste vorzüglich, und da ich die ganze Nacht unterwegs gewesen war, schlief ich gegen vier Uhr nachmittags ausgezeichnet ein.
Ich hatte einen für mich ganz überraschenden Traum, weil ich noch nie etwas Derartiges gesehen hatte. In Dresden, in der Galerie, hängt ein Gemälde von Claude Lorrain, nach dem Katalog heißt es, glaube ich, » Acis und Galatea «, aber ich nannte es immer »Das goldene Zeitalter«, ich weiß selbst nicht, warum. Ich hatte es schon früher gesehen, jetzt aber, vor drei Tagen, auf der Durchreise, war es mir aufgefallen. Von ebendiesem Bild träumte ich, aber es erschien mir nicht als ein Bild, sondern als eine Wirklichkeit.
Ein Winkel des griechischen Archipels: blaue, liebkosende Wellen, Inseln und Felsen, eine blühende Küste, ein zauberhaftes Panorama, die lockende untergehende Sonne – unbeschreiblich. Die europäische Menschheit weiß hier ihre Wiege, sieht hier die ersten Szenen der Mythologie, ihr Paradies auf Erden … Hier lebten die schönen Menschen! Sie erwachten und entschliefen glücklich und unschuldig; die Haine waren von ihren frohen Liedern erfüllt, der reiche Überschuß unverbrauchter Kräfte verströmte in Liebe und treuherziger Fröhlichkeit. Die Sonne ergoß ihre Strahlen über diese Inseln und das Meer und freute sich an ihren herrlichen Kindern. Ein wundersamer Traum, ein erhabenes Trugbild! Ein Traum, der unwahrscheinlichste von allen, die die Menschheit je träumte, dem sie zeit ihres Lebens alle ihre Kräfte weihte, dem sie alles opferte, für den die Propheten sich ans Kreuz schlagen ließen und hingerichtet wurden, den kein Volk im Leben, sogar nicht einmal im Sterben missen mag. Es war, als durchlebte ich all diese Empfindungen, während ich träumte; ich weiß nicht, was ich damals eigentlich geträumt habe, aber die Felsen, das Meer, die schrägen Strahlen der untergehenden Sonne – dies alles sah ich noch vor mir, als ich erwachte und
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