Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
stehen, kreuzte die Arme über der Brust und warf, totenbleich, einen unheildrohenden Blick auf die Lachende: »Weißt du, weißt du, Julija …«, stammelte er nach Atem ringend und mit beschwörender Stimme, »weißt du, daß auch ich so etwas tun kann?« Aber als ein neuer, noch heftigerer Lachanfall auf seine letzten Worte folgte, biß er die Zähne zusammen und stürzte sich plötzlich – nicht aus dem Fenster! – auf seine Gattin, mit erhobener Faust! Aber er ließ sie nicht niedersausen – nein, dreimal nein; statt dessen verschwand er augenblicklich. Er rannte, so schnell ihn seine Beine trugen, in sein Kabinett, wo er sich, bekleidet, wie er war, auf ein für ihn dort aufgeschlagenes Bett warf, sich krampfhaft das Laken über den Kopf zog und so etwa zwei Stunden lang liegenblieb – schlaflos, gedankenlos, ein Stein auf dem Herzen und dumpfe, lethargische Verzweiflung in der Seele. Von Zeit zu Zeit durchfuhren seinen ganzen Körper quälende Fieberschauer. Zusammenhanglose Erinnerungen stiegen in ihm auf, fernabliegende. Bald dachte er an die alte Wanduhr, die er vor fünfzehn Jahren in Petersburg besessen hatte und deren Minutenzeiger abgebrochen war; bald an den unternehmungslustigen Beamten Milleboye, wie sie beide einmal im Alexander-Park einen Spatzen fangen wollten und, nachdem sie ihn hatten, sich mit durch den ganzen Park schallendem Gelächter erinnerten, daß der eine von ihnen bereits Kollegienassessor war. Ich denke, daß er gegen sieben Uhr morgens, ohne es zu merken, in einen tiefen, erquickenden Schlaf mit wunderschönen Träumen versank. Als er gegen zehn Uhr morgens erwachte, sprang er plötzlich mit einem Satz von seinem Lager, erinnerte sich mit einem Male an alles und schlug sich kräftig mit der Hand vor die Stirn: Weder das Frühstück noch Blüm, noch der Polizeimeister, noch der Beamte, der erschienen war, um ihn zu erinnern, daß die Mitglieder der – versammlung ihn, den Vorsitzenden, an diesem Vormittag erwarteten, konnten ihn aufhalten. Er wollte von nichts hören und von nichts wissen, sondern stürzte wie von Sinnen in die Räume Julija Michajlownas. Dort setzte ihn Sofija Antropowna, ein altes Frauchen aus dem Adelsstand, die schon lange bei Julija Michajlowna lebte, davon in Kenntnis, daß diese geruht habe, sich schon um zehn Uhr mit einer großen Gesellschaft in drei Equipagen nach Skworeschniki zu begeben, zu Warwara Petrowna Stawrogina, um die dortigen Örtlichkeiten für das künftige, also das zweite Fest zu besichtigen, das, wie geplant, in zwei Wochen stattfinden sollte, und daß die Verabredung mit Warwara Petrowna persönlich bereits vor drei Tagen getroffen worden sei. Andrej Antonowitsch, betroffen durch die Nachricht, kehrte in sein Kabinett zurück und befahl, augenblicklich anzuspannen. Er konnte es kaum abwarten. Seine Seele dürstete nach Julija Michajlowna – sie sehen, nur fünf Minuten in ihrer Nähe, vielleicht wird sie ihm einen Blick schenken, ihn bemerken, ihm zulächeln wie einst, ihm verzeihen – o-oh! »Wo bleiben die Pferde?« Mechanisch schlug er den dicken Band auf, der auf dem Tisch lag. (Manchmal befragte er Bücher um ein Orakel, indem er irgendeines aufs Geratewohl aufschlug und auf der rechten Seite oben die ersten drei Zeilen las.) Er las: » Tout est pour le mieux dans le meilleur des mondes possibles .« Voltaire, »Candide«. Er schlug es zu und lief, um einzusteigen: »Nach Skworeschniki!« Der Kutscher erzählte später, der Herr habe es auf dem ganzen Weg sehr eilig gehabt, aber kaum wären sie in die Nähe des Herrenhauses gekommen, habe er plötzlich befohlen, zu wenden und nach der Stadt zurückzufahren: »Schneller, bitte, schneller!« – »Noch vor dem Stadtwall haben Ihre Gnaden befohlen, noch mal zu halten, sind aus der Equipage gestiegen und quer über den Weg ins Feld gegangen; da dachte ich, der Herr möchten eine Notdurft verrichten, aber sie blieben stehen und haben die Blümchen betrachtet und blieben die ganze Zeit so stehen, komisch, wirklich, und da bin ich richtig stutzig geworden.« So der Kutscher. Ich weiß noch, wie das Wetter an diesem Vormittag war: ein kalter und klarer, aber windiger Septembertag. Vor Andrej Antonowitsch, der den Weg überquert hatte, breitete sich eine karge Landschaft von kahlen Getreidefeldern aus, die schon längst abgeerntet waren; die kümmerlichen Reste sterbender gelber Blümchen schwankten im heulenden Wind … Wollte er vielleicht sich und sein Schicksal mit diesen
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