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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Dieser Mann war, meiner Meinung nach, ein echter und geborener Spion. In jedem Augenblick war er über die neuesten Neuigkeiten und alle Heimlichkeiten in unserer Stadt, besonders die schmutzigen, unterrichtet, und man mußte sich wundern, wie sehr er sich Dinge angelegen sein ließ, die ihn manchmal überhaupt nichts angingen. Ich hatte den Eindruck, daß der Hauptzug seines Charakters Neid war. Als ich noch am selben Abend Stepan Trofimowitsch von der Begegnung mit Liputin und von unserer Unterhaltung erzählte, geriet er, zu meinem Erstaunen, in außerordentliche Erregung und stellte mir die sonderbare Frage: »Weiß es Liputin oder nicht?« Ich versuchte, ihm klarzumachen, daß niemand so schnell – und von wem eigentlich? – habe etwas erfahren können, aber Stepan Trofimowitsch blieb unerschütterlich.
    »Sie mögen es glauben oder nicht«, sagte er unerwartet zum Schluß, »aber ich bin überzeugt, daß ihm über unsere Lage nicht nur schon alles, mit sämtlichen Einzelheiten, bekannt ist, sondern daß er darüber hinaus etwas weiß, was Sie und ich noch nicht wissen und vielleicht niemals wissen werden oder erst dann erfahren, wenn es schon zu spät ist und es kein Zurück mehr gibt! …«
    Ich sagte nichts, aber diese Worte ließen manches ahnen. Danach erwähnten wir ganze fünf Tage lang Liputin mit keinem Wort; Stepan Trofimowitsch, das war mir klar, bereute es sehr, mir gegenüber solche Verdächtigungen geäußert und sich verraten zu haben.
    II
    EINES Vormittags – das heißt am siebten oder achten Tag, nachdem Stepan Trofimowitsch eingewilligt hatte, Bräutigam zu werden –, etwa gegen elf, als ich wie gewöhnlich zu meinem gramgebeugten Freund eilte, widerfuhr mir unterwegs ein Abenteuer.
    Ich begegnete Karmasinow, dem »großen Schriftsteller«, wie ihn Liputin betitelt hatte. Karmasinow hatte ich schon in meiner Kindheit gelesen. Seine Novellen und Erzählungen kennt die ganze ältere und sogar unsere Generation; ich für mein Teil hatte mich an ihnen berauscht; sie waren die Wonne meiner Knaben- und Jugendjahre gewesen. Später kühlte meine Begeisterung für seine Feder ab; alle Erzählungen mit Tendenz, die er in der letzten Zeit geschrieben hatte, gefielen mir nicht mehr so gut wie seine ersten, frühen Werke, die so viel ursprüngliche Poesie enthielten; und seine neuesten Sachen gefielen mir ganz und gar nicht.
    Im allgemeinen verschwinden bei uns, wenn ich mich erkühnen darf, auch meine Meinung zu einem derart heiklen Kapitel zu äußern, all diese Herren Talente mittlerer Güte, die gewöhnlich zu Lebzeiten fast wie Genies gefeiert werden, nicht nur nach ihrem Ableben nahezu spurlos und irgendwie plötzlich aus dem Gedächtnis der Menschen, sondern werden manchmal sogar schon zu Lebzeiten unvorstellbar schnell von allen vergessen und mißachtet, sobald eine neue Generation heranwächst und die vorhergehende, in der sie wirkten, ablöst. Das geht bei uns irgendwie schlagartig vonstatten, wie ein Kulissenwechsel auf der Bühne. Oh, das läuft ganz anders ab, wie mit diesen Puschkins, Molières, Voltaires, mit all diesen Größen, die gekommen sind, um ihr eigenes neues Wort zu sagen! Es stimmt, daß diese Herren Talente mittlerer Güte sich an ihrem ruhmreichen Lebensabend gewöhnlich auf die kläglichste Weise leergeschrieben haben und es nicht einmal merken. Es zeigt sich gar nicht so selten, daß ein Schriftsteller, dem Jahre hindurch außerordentliche Gedankentiefe zugeschrieben und von dem ein außerordentlicher und ernstzunehmender Einfluß auf die Entwicklung der Gesellschaft erwartet wurde, am Ende eine solche Dürftigkeit und Winzigkeit seiner sogenannten Grundidee erkennen läßt, daß sogar kein Mensch bedauert, daß er sich leergeschrieben hat. Aber die weißhaarigen alten Herren merken es nicht und ärgern sich. Ihr Ehrgeiz nimmt zuweilen, besonders gegen Ende ihrer Laufbahn, wahrhaft erstaunliche Ausmaße an. Gott allein weiß, für wen sie sich nun halten – mindestens für Götter. Von Karmasinow erzählte man, ihm läge an seinen Beziehungen zu einflußreichen Persönlichkeiten und zur höheren Gesellschaft fast mehr als am eigenen Seelenheil. Man erzählte, daß er einen Besucher freundlich empfange und durch seine Liebenswürdigkeit und Treuherzigkeit bezaubern könne, besonders, wenn dieser ihm nützlich und, wie sich von selbst versteht, mit den besten Empfehlungen ausgestattet sei. Aber bei dem ersten Fürsten, bei der ersten Gräfin, bei der ersten

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