Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
warum ich zehn Schritte weit neben ihm herlief. Plötzlich blieb er wieder stehen.
»Und können Sie mir vielleicht sagen, wo hier die nächsten Droschken zu finden sind?« hörte ich wieder das schrille Falsett.
Ekelhaftes Schrillen; ekelhafte Stimme!
»Droschken? Die nächsten Droschken … an der Kathedrale, dort stehen sie immer.«
Es fehlte nicht viel, und ich hätte mich auf der Stelle umgedreht, um nach einer Droschke zu laufen. Ich vermute, daß er gerade damit gerechnet hatte. Selbstverständlich besann ich mich sofort und blieb stehen, aber er hatte meine Bewegung sehr wohl bemerkt und beobachtete mich mit demselben ekelhaften Lächeln. Und da geschah etwas, was ich niemals vergessen werde.
Plötzlich ließ er einen winzigen Sac-de-voyage fallen, den er in der linken Hand getragen hatte. Es war übrigens kein Sac, sondern ein Köfferchen oder vielmehr ein kleines Portefeuille oder noch eher ein Ridicul der Art, wie sie die Damen in der guten alten Zeit zu tragen pflegten. Ich weiß übrigens nicht genau, was es war, ich weiß nur, daß ich mich schon anschickte, es aufzuheben.
Ich bin absolut überzeugt, daß ich es nicht aufgehoben habe, aber meine erste Bewegung war nicht zu verkennen gewesen, ich konnte sie nicht rückgängig machen und wurde rot wie ein kleiner dummer Junge. Der alte Fuchs gewann sofort der Situation alles ab, was abzugewinnen war.
»Bemühen Sie sich nicht, ich kann es selbst«, sagte er charmant, das heißt, als er völlig sicher war, daß ich sein Ridicul nicht aufheben würde, hob es auf, als wollte er mir zuvorkommen, nickte mir noch einmal zu und ging seines Wegs. Ich stand als Tölpel da. Es war gerade so, als ob ich es aufgehoben hätte. Gute fünf Minuten lang hielt ich mich für immer und gründlich blamiert; aber als ich vor Stepan Trofimowitschs Haus stand, mußte ich plötzlich laut lachen. Diese Begegnung kam mir nun so komisch vor, daß ich sofort beschloß, Stepan Trofimowitsch mit einem Bericht davon zu erheitern und ihm die ganze Szene sogar in figura darzustellen.
III
ABER dieses Mal traf ich ihn zu meinem Erstaunen außerordentlich verändert an. Er stürzte mir zwar geradezu gierig entgegen, kaum, daß ich eingetreten war, und wollte mir schon zuhören, war aber sichtlich so zerstreut, daß er anfangs meine Worte überhaupt nicht verstand. Kaum aber hatte ich den Namen Karmasinow ausgesprochen, als er plötzlich völlig außer sich geriet.
»Sagen Sie mir nichts, sprechen Sie nicht von ihm!« rief er wie rasend aus. »Hier, hier! Sehen Sie! Lesen Sie!«
Er riß eine Schublade auf und warf drei kleine Zettel auf den Tisch, in offensichtlicher Eile mit Bleistift geschrieben, alle drei von Warwara Petrowna. Der erste war von vorgestern, der zweite von gestern, und den dritten hatte er heute, erst vor einer Stunde, erhalten; alle drei ziemlich bedeutungslosen Inhalts, alle drei drehten sich um Karmasinow und bewiesen deutlich Warwara Petrownas eitle und ehrgeizige Aufregung und Angst, Karmasinow könnte vergessen, ihr einen Besuch abzustatten. Hier folgt der erste, von vorgestern (wahrscheinlich gab es auch einen von vorvorgestern und vielleicht auch noch einen vom Tage davor):
Sollte er Sie heute endlich beehren, so bitte ich, mich mit keinem Wort zu erwähnen. Nicht die geringste Andeutung. Sprechen Sie nicht von mir, und erinnern Sie ihn nicht.
W. S.
Von gestern:
Sollte er sich entschließen, Ihnen heute vormittag einen Besuch zu machen, so wäre es am schicklichsten, meiner Ansicht nach, ihn überhaupt nicht zu empfangen. Das ist meine Ansicht, Ihre Meinung kenne ich nicht.
W. S.
Von heute, der letzte:
Ich bin überzeugt, daß sich bei Ihnen der Unrat zu Bergen türmt und alles schwarz von Tabakrauch ist. Ich schicke Ihnen Marja und Fomuschka; sie werden in einer halben Stunde Ordnung schaffen. Sie dürfen nicht stören und müssen in der Küche sitzen, bis aufgeräumt ist. Ich schicke Ihnen einen Buchara und zwei chinesische Vasen: Ich wollte sie Ihnen schon immer schenken, und auch meinen Teniers (geliehen). Die Vasen können Sie vors Fenster stellen und den Teniers rechts über dem Goethe-Portrait aufhängen. Dort ist er am besten zu sehen und hat immer Vormittagslicht. Wenn er erscheint (endlich), empfangen Sie ihn mit ausgesuchter Höflichkeit, aber unterhalten Sie sich möglichst über Beiläufiges, vielleicht über etwas Gelehrtes, und so, als hätten Sie sich erst gestern getrennt. Von mir kein Wort. Vielleicht komme ich am Abend vorbei und
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