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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Respektsperson halte er es für seine heilige Pflicht, seinen Besucher auf die kränkendste Weise zu vergessen und zu übersehen, wie ein Stück Holz, wie eine Fliege, auf der Stelle, noch bevor dieser sich von ihm verabschiedet habe; er halte dies allen Ernstes für das feinste und vornehmste Benehmen. Trotz vollendeter Contenance und vollkommener Beherrschung der guten Manieren sei er, wie man hörte, so ehrgeizig, so hysterisch ehrgeizig, daß er seine Empfindlichkeit als Autor sogar in jenen Gesellschaftskreisen nicht zu kaschieren vermöge, in denen das Interesse an Literatur nur gering sei. Wenn ihn jemand zufällig durch Nichtbeachten stutzig mache, so fühle er sich aufs empfindlichste getroffen und versuche, sich zu rächen.
    Vor etwa einem Jahr hatte ich in einer Zeitschrift einen Artikel von ihm gelesen, der mit einem gewaltigen Anspruch auf naivste Poesie und auch noch Psychologie abgefaßt war. Er schilderte darin den Untergang eines Dampfers, irgendwo vor der englischen Küste, den er als Augenzeuge erlebt und dabei gesehen hatte, wie Ertrinkende gerettet und Ertrunkene geborgen wurden. Dieser ganze Artikel, ziemlich lang und weitschweifig, wie er war, diente einzig und allein der Selbstdarstellung. Man konnte förmlich zwischen den Zeilen lesen: »Schaut doch mich an, es geht doch in diesen Minuten um mich! Was kümmert euch dieses Meer, der Sturm, die Felsen, das Schiffswrack? Dies alles habe ich euch schon hinlänglich mit meiner kraftvollen Feder geschildert! Wieso schaut ihr euch diese Ertrunkene mit dem toten Kind in den toten Armen an? Schaut doch lieber mich an, wie ich, von diesem Schauspiel überwältigt, mich von ihnen abwende! Da, ich wende ihnen den Rücken zu; da, ich bin entsetzt und bringe es nicht über mich, einen Blick zurückzuwerfen; ich schließe die Augen – sehr interessant, nicht wahr?« Als ich Stepan Trofimowitsch von dem Eindruck erzählte, den Karmasinows Artikel auf mich gemacht hatte, stimmte er mir zu.
    Als bei uns vor kurzem verlautete, Karmasinow werde kommen, verspürte ich natürlich den brennenden Wunsch, ihn zu sehen und, wenn möglich, kennenzulernen. Ich wußte, daß Stepan Trofimowitsch mir dazu verhelfen könnte; die beiden waren einst befreundet gewesen. Und plötzlich begegnete ich ihm an einer Kreuzung. Ich erkannte ihn sofort, man hatte ihn mir schon vor drei Tagen gezeigt, als er mit der Gattin des Gouverneurs in einer Equipage vorüberfuhr.
    Er war ein nicht einmal mittelgroßer, etwas affektierter alter Herr, übrigens nicht älter als fünfundfünfzig, mit roten Bäckchen, dichten, silbergrauen Löckchen, die unter einem runden zylinderartigen Hut hervorquollen und sich um seine sauberen rosigen Öhrchen ringelten. Das saubere Gesichtchen war nicht gerade schön, mit schmalen, langen, listig verkniffenen Lippen, einer ziemlich fleischigen Nase und stechenden, klugen Äuglein.
    Er war irgendwie altväterlich gekleidet, in einen ärmellosen Umhang, wie er in dieser Jahreszeit irgendwo in der Schweiz oder in Norditalien am Platz gewesen wäre. Aber wenigstens die Accessoires seines Kostüms: Manschettenknöpfchen, Krägelchen, Knöpfchen, die Lorgnette aus Schildpatt an dem schmalen schwarzen Bändchen und der Ring am Finger waren ohne Zweifel ganz so, wie es sich für Menschen von makellosem Geschmack geziemt. Ich bin überzeugt, daß er im Sommer unbedingt irgendwelche farbigen Prünellstiefelchen mit Perlmuttknöpfchen an der Seite zu tragen pflegte. Als ich ihm entgegenkam, war er gerade an einer Straßenecke stehengeblieben und sah sich aufmerksam um. Sobald er bemerkte, daß ich ihn neugierig beobachtete, fragte er mich mit einem honigsüßen, obzwar ein wenig schrillen Falsett:
    »Erlauben Sie, wie komme ich am schnellsten zur Bykow-Straße?«
    »Zur Bykow-Straße? Das ist hier, ganz in der Nähe«, rief ich außerordentlich aufgeregt. »Immer geradeaus und dann die zweite Straße links.«
    »Verbindlichen Dank.«
    Verwünschter Augenblick: Ich wurde verlegen und machte, wie ich glaube, ein serviles Gesicht! Er hatte sofort alles bemerkt und selbstverständlich auf der Stelle alles verstanden – das heißt, er hatte verstanden, daß ich wußte, wer er war, daß ich ihn seit meiner frühesten Kindheit las und bewunderte, daß ich jetzt verlegen war und ein serviles Gesicht machte. Er lächelte, nickte mir noch einmal zu und ging geradeaus weiter, wie ich es ihm gezeigt hatte. Ich weiß nicht, warum ich umkehrte und ihm folgte; ich weiß nicht,

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