Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
sehe nach dem Rechten.
W. S.
PS Wenn er auch heute nicht kommt, kommt er überhaupt nicht mehr.
Ich las und wunderte mich, daß derlei Belanglosigkeiten ihn so aufregen konnten. Als ich ihn fragend ansah, fiel mir plötzlich auf, daß er, während ich las, seine gewohnte weiße Halsbinde mit einer roten vertauscht hatte. Sein Hut und sein Stock lagen auf dem Tisch. Er war blaß, und seine Hände zitterten sogar.
»Ich will nichts von ihren Aufregungen wissen!« rief er völlig außer sich als Antwort auf meinen fragenden Blick. »Je m’en fiche! Sie wagt es, sich über Karmasinow aufzuregen und meine Briefe unbeantwortet zu lassen! Hier, hier, der ungeöffnete Brief, den sie mir gestern zurückgeschickt hat, hier auf dem Tisch, unter dem Buch, unter dem › L’homme qui rit ‹! Was geht es schließlich mich an, daß sie wegen ihres lieben Nicolas schlaflose Nächte hat! Je m’en fiche et je proclame ma liberté. Au diable le Karmazinoff! Au diable la Lembke! Die Vasen habe ich im Vorzimmer versteckt und den Teniers in der Kommode. Und von ihr verlangte ich, daß sie mich sofort empfängt. Hören Sie: Ich verlangte! Ich schickte ihr genau so einen Wisch, mit Bleistift geschrieben, ohne Umschlag, durch Nastassja, und ich warte. Ich will, daß Darja Pawlowna sich persönlich mit mir ausspricht, vor dem Angesicht des Himmels oder wenigstens vor Ihnen. Vous me seconderez, n’est-ce pas, comme ami et témoin ! Ich möchte keinen roten Kopf bekommen, ich möchte nicht lügen, ich mag keine Geheimtuerei, und ich werde in dieser Angelegenheit keine Geheimtuerei dulden! Man soll mir alles gestehen, offen, ehrlich und edel, dann werde ich … dann werde ich vielleicht eine ganze Generation durch meine Hochherzigkeit in Erstaunen setzen! … Bin ich ein Lump oder nicht, mein Herr?« schloß er plötzlich und starrte mich drohend an, als ob ausgerechnet ich ihn für einen Lumpen hielte.
Ich bat ihn, einen Schluck Wasser zu trinken; ich hatte ihn noch nie in einer solchen Verfassung gesehen. Die ganze Zeit, solange er sprach, rannte er von einer Zimmerecke in die andere, aber plötzlich blieb er in einer irgendwie eigentümlichen Pose vor mir stehen.
»Glauben Sie etwa«, begann er von neuem mit krankhafter Überheblichkeit, wobei er mich von Kopf bis Fuß musterte, »können Sie sich etwa vorstellen, daß mir, Stepan Werchowenskij, die moralische Kraft fehlte, mein Bündel zu schnüren – das Bündel eines Bettlers! –, es über die schwachen Schultern zu werfen, zum Tor hinauszugehen und für immer von hier zu verschwinden, sobald es sich um Ehre und das erhabene Prinzip der Unabhängigkeit handelt? Es ist nicht das erste Mal, daß Stepan Werchowenskij dem Despotismus die Hochherzigkeit entgegensetzt, selbst wenn es sich um den Despotismus einer überspannten Frau handelt, das heißt um den kränkendsten und grausamsten Despotismus, den die Welt kennt, ungeachtet dessen, daß Sie sich im Augenblick erlauben, wie mir scheint, meine Worte zu belächeln, verehrter Herr! Oh, Sie glauben nicht, daß ich genug Hochherzigkeit aufbringen kann, um mein Leben als Hauslehrer bei einem Kaufmann zu beschließen oder auf der Straße Hungers zu sterben! Antworten Sie, antworten Sie augenblicklich: Glauben Sie oder glauben Sie nicht?«
Ich schwieg mit Bedacht. Ich tat sogar so, als traute ich mich nicht, ihn durch eine verneinende Antwort zu kränken, sähe mich aber nicht in der Lage, seine Frage zu bejahen. Seiner ganzen Erregung lag etwas zugrunde, was mich entschieden kränkte, und zwar nicht persönlich, o nein! Aber … Ich werde das später erklären.
Er erblaßte sogar.
»Vielleicht langweilen Sie sich in meiner Gesellschaft, G—w« (mein Familienname) »und Sie wünschen überhaupt nicht mehr … mich zu besuchen«, sprach er in jenem Ton fahler Ruhe, die gewöhnlich einem besonders heftigen Ausbruch vorangeht. Ich sprang erschrocken auf; im selben Augenblick trat Nastassja ein und reichte Stepan Trofimowitsch schweigend einen mit Bleistift beschriebenen Zettel. Er überflog ihn und warf ihn mir zu. Auf dem Zettel standen in Warwara Petrownas Handschrift nur die Worte: »Bleiben Sie zu Hause!«
Stepan Trofimowitsch griff schweigend nach Hut und Stock und ging rasch zur Tür; ich folgte ihm mechanisch. Da hörten wir plötzlich Stimmen und eilige Schritte im Korridor. Er blieb stehen wie vom Donner gerührt.
»Das ist Liputin, und ich bin verloren!« flüsterte er und umklammerte meine Hand.
Im selben Augenblick
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