Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
begeben hatten, wie auf Verabredung. So kam es mir wenigstens vor. Das Buffet befand sich am Ende der Zimmerflucht in einem geräumigen Saal, wo sich Prochorytsch mit allen Verlockungen der Clubküche und verführerisch dekorierten Hors d’œuvres eingerichtet hatte. Hier fielen mir einige Personen in beinahe durchgescheuerten Oberröcken auf, in höchst fragwürdiger, für einen Ball gänzlich unschicklicher Kleidung, denen offenkundig mit großer Mühe und nur für kurze Zeit der Rausch ausgetrieben worden war, und irgendwelche Auswärtigen, die man Gott weiß wo zusammengesucht hatte. Mir war natürlich bekannt, daß es nach Julija Michajlownas Idee ein möglichst demokratischer Ball werden sollte, »sogar unter Teilnahme von Kleinbürgern, falls einer von ihnen das Geld für das Billett aufbringen könnte«. Solche Sätze konnte sie getrost vor ihrem Komitee verkünden, da sie völlig sicher sein konnte, daß kein einziger von den Kleinbürgern unserer Stadt, die einer wie der andere bettelarm waren, darauf verfallen würde, ein Billett zu erwerben. Aber nun bemächtigte sich meiner der Zweifel, ob man diese finsteren und fast abgerissenen Gesellen hätte einlassen dürfen, wie demokratisch auch immer das Komitee gesonnen sein mochte. Aber wer hatte sie eingelassen? Und mit welcher Absicht? Liputin und Ljamschin hatten bereits ihre Festordnerschleifen abliefern müssen (obwohl sie auf dem Ball zugegen waren, da sie in der »literarischen Quadrille« auftraten); aber an Liputins Stelle war zu meinem Erstaunen jener Seminarist getreten, der die »matinée« durch den Angriff auf Stepan Trofimowitsch am schmählichsten entwürdigt hatte, und an die von Ljamschin – Pjotr Stepanowitsch persönlich; was war da zu erwarten? Ich versuchte, mich umzuhören. Manche Ansichten verblüfften durch ihre Absurdität. In einer Gruppe zum Beispiel wurde behauptet, Julija Michajlowna habe bei der Geschichte mit Stawrogin und Lisa ihre Finger im Spiel gehabt und dafür von Stawrogin Geld genommen. Sogar die Summe wurde genannt. Es wurde behauptet, sie habe sogar das Fest nur zu diesem Zweck veranstaltet; deshalb sei auch die halbe Stadt, nachdem sich dies herumgesprochen hätte, nicht erschienen, und Lembke selbst sei so frappiert, daß »er im Kopf Schaden nahm« und sie ihn jetzt als Geisteskranken »an der Hand führt«.
Man hörte auch viel Gelächter, heiser, ordinär und hinterhältig. Außerdem kritisierten alle den Ball und schimpften über Julija Michajlowna, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Im ganzen war das Gerede chaotisch, zusammenhanglos, trunken und unruhig, so daß es schwer war, sich einen Überblick zu verschaffen und irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Hier, am Buffet, hatte sich auch einfach ein fröhliches Völkchen zusammengefunden, darunter sogar einige Damen von jener Sorte, die sich weder überraschen noch erschrecken läßt, sehr liebenswürdige und zum Lachen aufgelegte, meistens Offiziersfrauen in Begleitung ihrer Männer. Sie hatten sich in Gruppen an separaten Tischen niedergelassen und tranken äußerst vergnügt ihren Tee. Das Buffet war zu einem behaglichen Zufluchtsort für fast die Hälfte des anwesenden Publikums geworden. Aber nach einiger Zeit mußte sich diese ganze Masse in den Saal ergießen; schon der bloße Gedanke daran war schrecklich.
Inzwischen waren im Weißen Saal unter der Mitwirkung des Fürsten drei magere Quadrillen zustande gekommen. Die jungen Damen tanzten, und die Eltern hatten ihre helle Freude an ihnen. Aber schon überlegten viele dieser ehrenwerten Personen, wie sie, sobald ihre Töchter sich genug amüsiert hätten, sich rechtzeitig aus dem Staube machen könnten und nicht erst dann, »wenn’s losgeht«. Ausnahmslos alle waren davon überzeugt, daß es unbedingt losgehen würde. Es würde mir schwerfallen, Julija Michajlownas Gemütsverfassung zu schildern. Ich habe sie nicht gesprochen, obwohl ich ziemlich nahe an ihr vorbeiging. Meine Verbeugung beim Eintreten blieb von ihr unbemerkt (wirklich unbemerkt). Ihr Gesicht hatte einen leidenden Zug, der Blick war hochmütig und voll Verachtung, aber unstet und ängstlich. Sie überwand sich mit sichtlicher Pein – wozu und wem zuliebe? Sie hätte unbedingt fortgehen und vor allem ihren Gatten fortbringen sollen, aber sie blieb! Schon in ihrem Gesicht war zu lesen, daß ihr nun die Augen »gänzlich aufgegangen waren« und sie nichts mehr erwartete. Sie verlangte nicht einmal nach Pjotr Stepanowitsch (dieser
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