Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
einem ehrwürdigen grauen Bart (vorgebunden – darin bestand die ganze Kostümierung), der mit ernsthaftem Gesichtsausdruck immerfort schnell, sehr schnell trippelte, fast ohne sich von der Stelle zu bewegen. Er ließ immer wieder mit mäßig lauter, aber heiserer Baßstimme irgendwelche Töne vernehmen, und gerade diese Heiserkeit sollte eine der bekannten Zeitungen versinnbildlichen. Dieser Maske gegenüber tanzten zwei und Z, die Buchstaben waren an ihren Fräcken angeheftet, aber die Bedeutung dieses X und dieses Z blieb bis zum Schluß ungeklärt. Der »ehrliche russische Gedanke« wurde von einem bebrillten Herrn mittleren Alters dargestellt, in Frack, Handschuhen und – in Ketten (echten Ketten). Unter dem Arm trug dieser »Gedanke« eine Aktentasche mit irgendeiner »Sache«. In seiner Rocktasche steckte ein aufgerissener Briefumschlag aus dem Ausland, der eine an alle Zweifler gerichtete Beglaubigung der Ehrlichkeit des »ehrlichen russischen Gedankens« enthielt. Letzteres wurde von den Veranstaltern mündlich kommentiert, weil niemand den in der Tasche steckenden Brief lesen konnte. In der erhobenen rechten Hand hielt der »ehrliche russische Gedanke« ein Weinglas, als wolle er einen Toast ausbringen. Zu seinen Seiten trippelten mit ihm zusammen zwei Nihilistinnen mit kurzem Haar, und vis-à-vis tanzte ein ebenfalls bejahrter Herr im Frack, aber mit einem schweren Knüppel in der Hand, der eine zwar nicht in Petersburg erscheinende, aber furchteinflößende Zeitung darstellen sollte: »Ein Schlag – und nichts bleibt als ein feuchter Fleck«. Aber ungeachtet seines Knüppels hielt er der aufmerksam auf ihn gerichteten Brille des »ehrlichen russischen Gedankens« kaum stand, bemühte sich, ihn zu übersehen, und beim Pas de deux wand und drehte er sich, als wolle er in den Boden versinken – so sehr quälte ihn anscheinend das Gewissen … Übrigens muß ich auf die Aufzählung dieser stupiden Einfälle verzichten. Sie waren sämtlich von derselben Art, so daß es mir zu guter Letzt peinlich wurde. Und genau derselbe Eindruck von Peinlichkeit trat bei dem gesamten Publikum zutage, sogar auf den finstersten Visagen, die aus dem Buffet aufgetaucht waren. Eine Zeitlang schwiegen alle und sahen verständnislos und widerwillig zu. Wenn es dem Menschen peinlich zumute ist, wird er gewöhnlich zornig und neigt zum Zynismus. Nach und nach begann es in unserem Publikum zu grollen:
»Was soll denn das?« murmelte in einer Gruppe ein Dauergast vom Buffet.
»So ein Blödsinn!«
»Etwas aus der Literatur. Sie kritisieren ›Golos‹.«
»Was hab’ ich davon?«
In einer anderen Gruppe:
»Diese Esel!«
»Nee, die sind keine Esel! Wir sind die Esel!«
»Wieso bist du ein Esel?«
»Ich bin ja kein Esel.«
»Wenn du schon kein Esel bist, dann bin ich erst recht keiner!«
Die dritte Gruppe:
»Die sollen was hinter die Löffel kriegen und zum Teufel gehen!«
»Den ganzen Saal drannehmen!«
Die vierte:
»Daß die Lembkes sich nicht schämen, jetzt zuzugucken?«
»Warum sollten sie sich schämen? Du schämst dich ja auch nicht?«
»Ich schäme mich wohl, und der ist doch der Gouverneur.«
»Und du bist ein dummes Schwein.«
»In meinem ganzen Leben habe ich noch nie einen so gewöhnlichen Ball erlebt«, sagte giftig eine Dame in unmittelbarer Nähe von Julija Michajlowna mit dem deutlichen Wunsch, gehört zu werden. Diese Dame war um die vierzig, kräftig und mit dick aufgetragenem Rouge, in einem grellen Seidenkleid; in der Stadt war sie fast allen bekannt, aber niemand empfing sie. Sie war die Witwe eines Regierungsrates, der ihr ein Holzhaus und eine bescheidene Pension hinterlassen hatte, aber sie lebte auf großem Fuß und hielt Wagen und Pferde. Vor etwa zwei Monaten hatte sie Julija Michajlowna als erste Visite gemacht, war aber nicht empfangen worden. »Genau das war ja vorauszusehen«, fügte sie hinzu und hielt dem Blick Julija Michajlownas herausfordernd stand.
»Aber wenn Sie das vorausgesehen haben, warum sind Sie dann erschienen?« Julija Michajlowna konnte nicht länger an sich halten.
»Aus reiner Naivität«, antwortete die schlagfertige Dame (angriffslustig von Kopf bis Fuß); aber der General trat zwischen die beiden:
»Chère dame«, er beugte sich zu Julija Michajlowna, »wir sollten fahren. Wir stören sie nur, und ohne uns werden sie sich vorzüglich amüsieren. Sie haben Ihre Pflicht getan, ihren Ball eröffnet, und nun sollen Sie sie sich selbst überlassen … Und auch
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