Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
abgewiesen wurde (im Hause Stawrogin wurde seit gestern niemand mehr empfangen); ich weiß nicht, was ich ihr sagen wollte und warum ich zu ihr gelaufen war. Von dort aus begab ich mich zu ihrem Bruder. Schatow hörte mich finster und stumm an. Ich möchte hier bemerken, daß ich ihn in einer noch nie an ihm bemerkten düsteren Stimmung antraf; er war furchtbar nachdenklich und hörte mich mit sichtlicher Überwindung an. Er sagte fast kein Wort und wanderte von einer Ecke seines Kämmerchens in die andere, wobei er lauter als gewöhnlich mit seinen Stiefeln stampfte. Als ich schon auf der Treppe war, rief er mir nach, ich müsse zu Liputin gehen: »Dort werden Sie alles erfahren!« Aber ich ging nicht zu Liputin, sondern kehrte, nachdem ich schon ein ziemliches Stück weitergegangen war, wieder zu Schatow zurück, machte die Tür nur einen Spalt auf und schlug ihm, ohne einzutreten, lakonisch und ohne weitere Erklärungen vor: »Würden Sie heute vielleicht nach Marja Timofejewna sehen?« Schatow fluchte, und ich ging. Ich notiere bei dieser Gelegenheit, um es nicht zu vergessen, daß er am selben Abend eigens an den Stadtrand pilgerte, zu Marja Timofejewna, die er länger nicht besucht hatte. Er traf sie denkbar wohlauf und gutgelaunt an, während Lebjadkin stockbesoffen im ersten Zimmer auf dem Sofa schlief. Das war Punkt neun Uhr. Er erzählte es mir bereits am nächsten Tag selbst, als wir uns auf der Straße in großer Eile begegneten. Es war schon gegen zehn, als ich mich entschloß, doch noch zum Ball zu gehen, aber nicht mehr als »Festordner« (meine Schleife war ja bei Julija Michajlowna geblieben), sondern aus unüberwindlicher Neugier, um zu hören (ohne zu fragen): Was wird bei uns in der Stadt über all diese Ereignisse geredet? Außerdem wollte ich Julija Michajlowna sehen, und sei es auch nur von weitem. Ich machte mir große Vorwürfe, daß ich sie vorhin stehengelassen hatte und davongestürzt war.
III
DIESE ganze Nacht mit ihren nahezu absurden Ereignissen und der furchtbaren »Lösung« am nächsten Morgen kommt mir jetzt immer noch wie ein gräßlicher Alptraum vor und ist – jedenfalls für mich – der schwierigste Teil meiner Chronik. Ich kam zwar zu spät zum Ball, aber immerhin rechtzeitig zu seinem Ende – so früh sollte er enden. Es war bereits nach zehn, als ich das Haus der Adelsmarschallin erreichte, wo derselbe Weiße Saal, in dem die Matinee stattgefunden hatte, ungeachtet der kurzen Frist bereits aufgeräumt und in den wichtigsten Tanzsaal verwandelt worden war, und zwar, wie geplant, für die ganze Stadt. Aber meine schlimmsten Befürchtungen bezüglich des Balls, die ich heute vormittag gehegt hatte, wurden bei weitem übertroffen, ich hatte die volle Wahrheit nicht einmal geahnt: Nicht eine einzige Familie der höheren Kreise war erschienen; sogar einigermaßen angesehene Beamte glänzten durch Abwesenheit, und das war ein außerordentlich deutliches Zeichen. Was die Damen und jungen Mädchen angeht, so erwiesen sich Pjotr Stepanowitschs Prognosen (inzwischen als hinterhältig durchschaut) als im höchsten Maße unzutreffend: Nur ganz wenige waren da; auf vier Herren kam kaum eine Dame, und was für eine Dame! »Irgendwelche« Offiziersfrauen aus dem hiesigen Regiment, verschiedene kleine Fische aus dem Postamt und den Behörden, drei Arztgattinnen samt Töchtern, zwei, drei der ärmsten Gutsbesitzerinnen, sieben Töchter und eine Nichte jenes Sekretärs, den ich bereits oben erwähnt habe, Kaufmannsfrauen – waren das die Ballgäste, mit denen Julija Michajlowna gerechnet hatte? Sogar die Hälfte der Kaufleute war weggeblieben. Die Herren allerdings bildeten, ungeachtet der kompakten Abwesenheit der gesamten Crème unserer Gesellschaft, eine dichte Masse, machten jedoch einen bedenklichen und unzuverlässigen Eindruck. Freilich, es waren auch einige sehr ruhige und ehrerbietige Offiziere mit ihren Frauen erschienen, einige der folgsamsten Familienväter, wie zum Beispiel jener Sekretär, Vater seiner sieben Töchter. All dieses zahme, unbedeutende Volk war sozusagen nur »aus Unvermeidlichkeit« erschienen, wie sich einer dieser Herrschaften ausdrückte. Aber, andererseits, die Anzahl ungenierter Personen wie auch die Menge derjenigen, von denen ich und Pjotr Stepanowitsch unlängst vermutet hatten, sie würden ohne Billett eingeschleust, hatte sich weiter vergrößert. Sie alle hielten sich vorläufig am Buffet auf, wohin sie sich nach dem Eintreten geradenwegs
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