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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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geschehen? Warum sollten alle nicht kommen?« rief er endlich böse und ungeduldig aus.
    »Schmach und Schande – das ist geschehen. Ich weiß nicht, was es war, aber es war etwas, das es mir unmöglich macht zu erscheinen.«
    »Warum? Worin besteht schließlich Ihre Schuld? Warum nehmen Sie alle Schuld auf sich? Ist nicht vielmehr das Publikum schuld, Eure Greise, Eure Familienväter? Sie hätten diese Schurken und Taugenichtse an die Kandare nehmen sollen – weil es sich hier nur um Taugenichtse und Schurken handelt und um nichts Ernstes. Nirgendwo, in keiner Gesellschaft, kann die Polizei allein genügen, bei uns aber verlangt jeder, der hereinkommt, einen eigenen Schutzmann als Wächter. Sie begreifen nicht, daß die Gesellschaft sich selbst schützen muß. Und was tun unsere Familienväter, unsere Würdenträger, unsere Ehefrauen und jungen Mädchen in solchen Fällen? Sie schweigen und schmollen. So sehr, daß die öffentliche Initiative außerstande ist, die Störenfriede im Zaume zu halten.«
    »O ja, das ist eine goldene Wahrheit! Sie schweigen, schmollen und … schielen nach allen Seiten.«
    »Und wenn es eine Wahrheit ist, so müssen Sie es auch laut aussprechen, stolz und streng. Sie müssen gerade demonstrieren, daß Sie keineswegs geschlagen sind. Gerade diesen alten Herren und den Müttern. Oh, Sie werden es können! Sie haben Talent, wenn der Kopf klar ist. Sie werden sie um sich versammeln und dann mit lauter, lauter Stimme aufklären. Und anschließend einen Bericht an › Golos ‹ und › Birschewyje ‹. Passen Sie auf, ich nehme das in die Hand und regele alles für Sie. Selbstverständlich mehr Aufmerksamkeit, das Buffet unter ständiger Beobachtung; der Fürst muß darum ersucht werden, Herr … muß darum ersucht werden. Sie dürfen uns nicht im Stich lassen, Monsieur, ausgerechnet jetzt, da wir wieder von neuem anfangen! Und schließlich Sie, am Arm von Andrej Antonowitsch. Wie ist das Befinden Andrej Antonowitschs?«
    »Oh, wie ungerecht, wie falsch, wie kränkend war stets Ihr Urteil über diesen engelsgleichen Mann!« rief plötzlich Julija Michajlowna in einem unerwarteten Gefühlsausbruch, beinahe unter Tränen, und drückte das Taschentuch an die Augen. Pjotr Stepanowitsch versagte im ersten Augenblick sogar die Stimme:
    »Aber ich bitte Sie, ich … habe ich jemals … immer habe ich …«
    »Nie, nie! Nie haben Sie ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen!«
    »Wer wird eine Frau schon verstehen!« knurrte Pjotr Stepanowitsch mit einem schiefen Lächeln.
    »Er ist der wahrhaftigste, der feinfühligste, ein engelsgleicher Mann! Der gütigste Mensch!«
    »Aber ich bitte Sie, habe ich jemals an seiner Güte … Ich habe seiner Güte stets Gerechtigkeit …«
    »Nie! Aber lassen wir das. Ich bin zu ungeschickt für ihn eingetreten. Vorhin ließ dieser Jesuit im Weiberrock, die Adelsmarschallin, einige sarkastische Andeutungen über gestern fallen.«
    »Oh, jetzt steht ihr der Sinn nicht nach Andeutungen über gestern, sondern nach dem Heute. Warum machen Sie sich Gedanken, ob sie auf dem Ball erscheint oder nicht? Natürlich wird sie nicht erscheinen, wenn sie bis über die Ohren in einem solchen Skandal steckt. Vielleicht ist es gar nicht ihre Schuld, aber die Reputation ist hin; ganz sauber sind ihre Hände nicht.«
    »Was heißt das, ich verstehe nicht: Warum sind ihre Hände nicht ganz sauber?« Julija Michajlowna sah ihn erstaunt an.
    »Das heißt, ich behaupte ja gar nichts, aber in der Stadt pfeifen es bereits die Spatzen von den Dächern, daß sie es war, die die beiden verkuppelt hat.«
    »Was heißt das? Wen hat sie verkuppelt?«
    »Ach, Sie wissen es wohl noch gar nicht?« rief er mit perfekt gespieltem Erstaunen. »Klar, Stawrogin und Lisaweta Nikolajewna!«
    »Wie? Was?« riefen wir alle.
    »Ist es möglich, daß Sie das nicht wissen? O je! Hier haben sich ganze Tragikromane abgespielt: Lisaweta Nikolajewna gefiel es, aus der Equipage der Adelsmarschallin direkt in die Equipage Stawrogins umzusteigen und mit ›letzterem‹ am hellichten Tag nach Skworeschniki durchzubrennen. Vor etwa einer Stunde, nicht einmal einer Stunde.«
    Wir erstarrten. Selbstverständlich überschütteten wir ihn sofort mit Fragen, aber erstaunlicherweise konnte er, obwohl er »rein zufällig« Augenzeuge gewesen war, nichts, aber auch gar nichts Näheres erzählen. Die Sache soll sich folgendermaßen abgespielt haben: Als die Adelsmarschallin nach der »Matinee« Lisa und Mawrikij

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