Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
herausstellt, daß es nur eine alte, morsche Barkasse ist, reif zum Wracken …«
»Ach, das ist ja wunderbar!« rief Lisa.
»Ist wunderbar, aber die Tränen kullern nur so über die Backen. Hier braucht man Mut. Man darf den Männern in nichts nachstehen. In unserer Zeit, da die Frau … pfui Teufel!« (Pjotr Stepanowitsch war nahe daran auszuspucken.) »Vor allem gibt es keinen Grund zu trauern: Vielleicht wird sich alles zum Besten wenden. Mawrikij Nikolajewitsch ist ein Mensch, der … mit einem Wort, ein empfindsamer Mensch, wenn auch nicht gesprächig, was übrigens nicht schlecht ist, natürlich unter der Voraussetzung, daß er ohne Vorurteile ist …«
»Wunderbar, wunderbar!« lachte Lisa hysterisch.
»Na, dann hol’s der Teufel, Lisaweta Nikolajewna …«, sagte Pjotr Stepanowitsch plötzlich pikiert. »Ich habe doch nur Ihr Interesse im Auge … Mir ist es egal … Gestern habe ich Ihnen einen Dienst erwiesen, als Sie es selbst wünschten, heute aber … So, und von hier aus sehen wir Mawrikij Nikolajewitsch, dort sitzt er und sieht uns nicht. Wie ist es, Lisaweta Nikolajewna, haben Sie › Polinka Sachs ‹ gelesen?«
»Bitte?«
»Es gibt da so eine Novelle ›Polinka Sachs‹. Ich habe sie noch als Student gelesen. Darin hält ein Beamter namens Sachs, mit großem Vermögen, seine Frau wegen ihrer Untreue auf seiner Datscha hinter Schloß und Riegel … Aber was soll’s, nur nicht ernst nehmen! Sie werden sehen, Mawrikij Nikolajewitsch wird Ihnen einen Heiratsantrag machen, noch bevor sie zu Hause sind. Er sieht uns noch nicht.«
»Ach, er soll uns nicht sehen!« rief Lisa plötzlich wie eine Wahnsinnige. »Wir wollen fort, fort! In den Wald, ins Feld!«
Und sie rannte zurück.
»Lisaweta Nikolajewna, was für ein Kleinmut!« Pjotr Stepanowitsch lief ihr nach. »Und warum möchten Sie nicht, daß er Sie sieht? Im Gegenteil, blicken Sie ihm offen und stolz in die Augen … Wenn es Ihnen darum geht … um Jungfräulichkeit … das ist doch nichts als ein Vorurteil, nur rückständig … Aber wo wollen Sie hin, wohin? Wie die rennt! Wir wollen doch lieber zu Stawrogin zurück, zu meiner Droschke … Wo wollen Sie hin? Da ist doch nur offenes Feld … So, jetzt ist sie hingefallen! …«
Er blieb stehen. Lisa flog dahin wie ein Vogel, ohne zu wissen, wohin, und Pjotr Stepanowitsch war schon etwa fünfzig Schritte hinter ihr zurückgeblieben. Sie fiel, weil sie über einen Maulwurfshügel gestolpert war. Im selben Augenblick ertönte hinter ihr, seitwärts, ein markerschütternder Schrei, der Schrei Mawrikij Nikolajewitschs, der ihre Flucht und ihren Sturz gesehen hatte und nun querfeldein auf sie zulief. Pjotr Stepanowitsch retirierte augenblicklich vor die Toreinfahrt des Stawroginschen Hauses, um schleunigst in seine Droschke zu steigen.
Mawrikij Nikolajewitsch, tödlich erschrocken, stand indessen vor Lisa, die sich wieder erhoben hatte, beugte sich zu ihr herab und hielt ihre Hand in beiden Händen. Alle unwahrscheinlichen Umstände dieser Begegnung erschütterten ihn zutiefst, und Tränen liefen ihm über das Gesicht. Er sah jene, die er so innig anbetete, wie eine Rasende über das Feld laufen, zu dieser Stunde, bei diesem Wetter, im bloßen Kleid, in diesem prachtvollen Kleid von gestern, das jetzt zerknittert und vom Sturz schmutzig geworden war … Er brachte kein Wort über die Lippen, zog seinen Mantel aus und legte ihn mit zitternden Händen über ihre Schultern. Plötzlich schrie er auf, als er fühlte, daß ihre Lippen seine Hand berührten.
»Lisa«, rief er, »ich vermag nichts, aber jagen Sie mich nicht von sich!«
»O ja, schnell fort von hier, verlassen Sie mich nicht!« Sie griff selbst nach seiner Hand und zog ihn mit sich fort. »Mawrikij Nikolajewitsch«, plötzlich senkte sie erschrocken die Stimme, »ich habe dort immerzu die Mutige gespielt, hier aber fürchte ich mich vor dem Tod. Ich werde sterben, ich werde sehr bald sterben, aber ich fürchte mich, ich fürchte mich vor dem Tod«, flüsterte sie, indem sie seine Hand fest drückte.
»Oh, wenn doch wenigstens irgend jemand käme!« Er blickte sich verzweifelt um. »Wenigstens irgendein Wagen! Sie werden nasse Füße bekommen, Sie werden … den Verstand verlieren!«
»Nicht schlimm, nicht schlimm«, tröstete sie ihn, »Sie sehen doch, in Ihrer Gegenwart fürchte ich mich weniger, halten Sie mich fest an der Hand, führen Sie mich … Wohin wollen wir jetzt, nach Hause? Nein, ich will zuerst
Weitere Kostenlose Bücher