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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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über ihr, schreiend, weinend und wie ein Wahnsinniger die Hände ringend. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, was weiter geschah; ich erinnere mich nur, daß man Lisa plötzlich trug. Ich lief neben ihr her; sie lebte noch und war vielleicht noch bei Bewußtsein. Der Kleinbürger und drei andere Männer aus der Menge wurden festgenommen. Diese drei bestreiten bis auf den heutigen Tag ihre Beteiligung an dem Mord und behaupten hartnäckig, man habe sie irrtümlich festgenommen; vielleicht haben sie recht. Der Kleinbürger ist zwar zweifelsfrei überführt, aber in seiner Verrücktheit bis heute nicht imstande, sich über den Vorfall hinreichend zu äußern. Auch ich wurde als Augenzeuge, wenn auch aus gewisser Entfernung, bei der Untersuchung aufgefordert, meine Aussage zu machen: Ich erklärte, daß alles sich im höchsten Grunde zufällig abgespielt hätte, durch Leute, die, obwohl (vielleicht) aufgehetzt, unwissend, betrunken und orientierungslos gewesen wären. An dieser Meinung halte ich auch heute noch fest.

Viertes Kapitel
    Die letzte Entscheidung
    I
    AN diesem Morgen wurde Pjotr Stepanowitsch von vielen gesehen. Alle, die ihn gesehen haben, erinnerten sich später, daß er sich in einem außerordentlich erregten Zustand befunden hatte. Mittags um zwei Uhr war er kurz bei Gaganow erschienen, der erst tags zuvor von seinem Landsitz zurückgekehrt war und nun das Haus voller Besucher hatte, die viel und hitzig über die letzten Ereignisse redeten. Pjotr Stepanowitsch redete am meisten und verschaffte sich viele Zuhörer. Er galt bei uns schon immer für einen »geschwätzigen Studenten« und »Wirrkopf«, jetzt aber redete er über Julija Michajlowna, und bei dem allgemeinen Durcheinander war das ein fesselndes Thema. In der Eigenschaft ihres letzten und ganz besonders intimen Konfidenten konnte er manches recht neue und überraschende Detail mitteilen; zufällig (und, natürlich, unbesonnen) teilte er einige ihrer vertraulichen Aussprüche über stadtbekannte Persönlichkeiten mit, womit er deren Eitelkeit sogleich einen empfindlichen Stich versetzte. Alles, was er sagte, war unklar und verworren und klang ganz wie aus dem Mund eines etwas einfältigen Menschen, der sich aber als ehrliche Haut in der mißlichen Lage befindet, mit einem Schlag einen ganzen Berg von Fragen abtragen zu müssen, ohne in seiner Einfalt und Ungeschicklichkeit zu wissen, womit er anfangen und womit er enden soll. Ebenso unbesonnen ließ er durchblicken, daß Julija Michajlowna über Stawrogins Geheimnis unterrichtet gewesen wäre und daß gerade sie hinter der ganzen Intrige gesteckt hätte. Dabei habe sie auch ihn, Pjotr Stepanowitsch, in eine fatale Lage gebracht, weil er selbst in diese unglückliche Lisa verliebt gewesen und so sehr »übertölpelt« worden sei, daß er sie beinahe in der Equipage zu Stawrogin begleitet hätte. »Ja, ja, Sie, meine Herrschaften, haben gut lachen, aber ich, wenn ich nur gewußt hätte, welches Ende das alles nehmen würde!« schloß er. Auf verschiedene beunruhigte Fragen nach Stawrogin erklärte er klipp und klar, daß die Katastrophe mit Lebjadkin ein reiner Zufall gewesen sei, an dem einzig Lebjadkin die Schuld trage, weil er sein Geld herumgezeigt habe. Letzteres setzte er besonders einleuchtend auseinander. Einer der Zuhörer bemerkte irgendwann, daß er sich ganz umsonst »verstelle«; er hätte in Julija Michajlownas Haus gegessen, getrunken, beinahe geschlafen und sei jetzt der erste, der sie anschwärze, was sich keineswegs so gut ausnehme, wie er zu glauben scheine. Pjotr Stepanowitsch aber setzte sich sofort zur Wehr:
    »Wenn ich dort gegessen und getrunken habe, so keineswegs deshalb, weil ich kein Geld hätte, und ich kann nichts dafür, daß man mich dort eingeladen hat. Sie müssen mir schon ein eigenes Urteil darüber zubilligen, ob ich dafür dankbar sein muß.«
    Der allgemeine Eindruck fiel für ihn günstig aus: “Der Bursche ist verdreht und ein Hohlkopf, aber was kann er für die Dummheiten Julija Michajlownas? Im Gegenteil, es stellt sich heraus, daß er sie sogar zurückzuhalten versuchte …” Gegen zwei Uhr mittags verbreitete sich plötzlich die Nachricht, daß Stawrogin, von dem so viel die Rede war, überraschend mit dem Mittagszug nach Petersburg abgereist wäre. Man fand das sehr interessant; manch einer runzelte die Stirn. Pjotr Stepanowitsch war so verblüfft, daß sein Gesicht, wie man erzählt, sich völlig verändert hätte und er eigentümlicherweise

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