Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
beschlossen, Pjotr Stepanowitsch zu Wort kommen zu lassen; aber er kam und kam nicht; eine solche Nachlässigkeit wirkte wie Gift. Erkel bewahrte Schweigen und bestellte bei seinen Wirtinnen lediglich Tee, den er eigenhändig in Gläsern auf einem Tablett herüberholte, ohne die Magd mit dem Samowar hereinzulassen.
Pjotr Stepanowitsch erschien erst um halb neun. Mit raschen Schritten trat er an den runden Tisch vor dem Sofa, um den die Gesellschaft sich, versammelt hatte. Er behielt seine Mütze in der Hand und lehnte den Tee ab. Seine Miene war böse, streng und hochmütig. Er muß wohl sofort an den Gesichtern abgelesen haben, daß man »rebellierte«.
»Ehe ich den Mund auftue, legen Sie los; Sie sind ja so zugeknöpft«, sagte er mit boshaftem Lächeln, wobei er die Gesichter der Anwesenden musterte.
Liputin begann »im Namen aller« und erklärte mit vor Gekränkheit versagender Stimme, »daß, wenn man so weitermacht, man sich den eigenen Kopf einrennen kann«. Oh, niemand fürchte sich davor, sich den eigenen Kopf einzurennen, man sei sogar dazu bereit, aber ausschließlich für die Sache der Allgemeinheit. (Allgemeine Bewegung und Zustimmung.) Aus diesem Grund müsse man auch ihnen gegenüber offen sein, auch sie müßten alles im voraus wissen, andernfalls – »wohin soll das führen?« (Wieder Bewegung, einige gutturale Laute.) Das augenblickliche Vorgehen sei erniedrigend und gefährlich … Nicht daß man sich fürchte, aber solange nur einer handle und die anderen nur Bauern auf dem Schachbrett seien, würde einer Fehler machen, aber alle würden in der Falle sitzen. (Ausrufe: Jawohl, jawohl! Allgemeiner Beifall.)
»Aber was wollen Sie denn, zum Teufel!«
»In welchem Zusammenhang mit der Sache der Allgemeinheit« – Liputin kochte inzwischen vor Zorn – »stehen die Liebesintrigen des Herrn Stawrogin? Mag er auf mirakulöse Weise zu irgendeinem Zentrum gehören, wenn dieses phantastische Zentrum tatsächlich existiert, aber was geht das uns an? Inzwischen wurde ein Mord begangen, die Polizei ist aufgewacht; der Faden führt zum Knäuel.«
»Wenn Sie und Stawrogin in der Falle sitzen, dann sind wir auch drin«, fügte der »Kenner des Volkes« hinzu.
»Und für die Sache der Allgemeinheit ist das von keinerlei Nutzen«, schloß Wirginskij melancholisch.
»Was für ein Quatsch! Der Mord war reiner Zufall, Fedjkas Werk, ein Raubüberfall.«
»Hm. Allerdings ein seltsamer Zufall«, grinste Liputin.
»Wenn Sie so wollen, sind Sie alle die Urheber.«
»Wieso sind wir die Urheber?«
»Erstens waren Sie, Liputin, an dieser Intrige mitbeteiligt, und zweitens, die Hauptsache, hatte man Ihnen befohlen, Lebjadkin abzuschieben, auch das Geld wurde Ihnen ausgehändigt, und was taten Sie? Wenn Sie ihn abgeschoben hätten, wäre nichts passiert.«
»War denn das nicht Ihre Idee, ihn auf dem Podium das Gedicht vortragen zu lassen?«
»Eine Idee ist kein Befehl. Der Befehl lautete, ihn abzuschieben.«
»Befehl. Ziemlich merkwürdiges Wort … Im Gegenteil, gerade Sie hatten befohlen, das Abschieben zu verzögern.«
»Sie haben sich geirrt und Dummheit und Eigenmächtigkeit bewiesen. Und der Mord ist Fedjkas Werk, den er im Alleingang begangen hat, mit räuberischer Absicht. Sie haben etwas läuten gehört und alles geglaubt. Sie haben es mit der Angst zu tun bekommen. Stawrogin ist nicht so dumm, und der Beweis – er ist heute mittag um zwölf abgereist, anschließend an den Empfang beim Vizegouverneur; läge irgend etwas vor, hätte man ihn nie am hellichten Tag nach Petersburg reisen lassen.«
»Aber wir haben keineswegs behauptet, daß Herr Stawrogin eigenhändig gemordet hat«, fiel Liputin giftig und ungeniert ein, »es ist durchaus möglich, daß er ebensowenig davon wußte wie ich; Ihnen ist nur zu gut bekannt, daß ich nichts wußte, obwohl ich wie der Hammel selbst in den Kessel gesprungen bin.«
»Wem schieben Sie denn die Schuld in die Schuhe?« fragte Pjotr Stepanowitsch mit finsterem Blick.
»Denjenigen, die es nötig haben, Städte in Brand zu setzen.«
»Das Schlimmste ist, daß Sie immer ausweichen. Übrigens, möchten Sie vielleicht dies lesen und es auch den anderen zeigen; lediglich zur Kenntnisnahme.«
Er zog aus der Tasche Lebjadkins anonymen Brief an Lembke und reichte ihn Liputin. Dieser las ihn, war sichtlich erstaunt und reichte ihn nachdenklich seinem Nachbarn weiter; der Brief machte schnell die Runde.
»Ist denn das wirklich Lebjadkins Handschrift?« fragte
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