Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
ausgerufen haben soll: »Aber wer hat ihn nur rausgelassen!« In großer Eile lief er von Gaganow fort. Allerdings wurde er noch in zwei oder drei anderen Häusern gesehen.
Es dämmerte schon, als es ihm gelang, wenn auch mit großer Mühe, bis zu Julija Michajlowna vorzudringen, denn sie weigerte sich entschieden, ihn zu empfangen. Ich hörte dies drei Wochen später von ihr persönlich, vor ihrer Abreise nach Petersburg. Sie teilte mir keine Einzelheiten mit, sondern bemerkte schaudernd, daß er sie »damals in grenzenloses Erstaunen versetzt« habe. Ich nehme an, daß er sie einfach eingeschüchtert hat, indem er ihr drohte, sie der Mittäterschaft zu bezichtigen, falls sie auf den Gedanken käme zu »reden«. Die Notwendigkeit aber, sie einzuschüchtern, hing eng mit seinen damaligen Absichten zusammen, von denen sie selbstverständlich keine Ahnung hatte, und erst später, nach Verlauf von fünf Tagen, konnte sie begreifen, warum er an ihrer Verschwiegenheit so sehr gezweifelt und einen neuen Ausbruch ihres Zornes so sehr gefürchtet hatte …
Kurz nach sieben Uhr abends, als es schon ganz dunkel war, versammelten sich am Stadtrand, in der Fomin-Gasse, in einem kleinen altersschiefen Haus, der Wohnung des Fähnrichs Erkel, die Unsrigen vollzählig, zu fünft. Die Vollversammlung war hierher von Pjotr Stepanowitsch einberufen worden; aber er verspätete sich unverzeihlich, und die Mitglieder warteten schon eine volle Stunde auf ihn. Dieser Fähnrich Erkel war jener zugereiste Offizier, der an dem Abend bei Wirginskij die ganze Zeit mit dem Bleistift in der Hand und dem Notizbuch vor sich dagesessen hatte. Er war erst vor kurzem in unsere Stadt gekommen, wohnte sehr zurückgezogen zur Miete in einer abgelegenen Gasse bei zwei Schwestern, alten Kleinbürgerinnen, und mußte demnächst wieder abreisen; es war am wenigsten auffällig, wenn man bei ihm zusammenkam. Dieser sonderbare Junge zeichnete sich durch ungewöhnliche Schweigsamkeit aus. Er brachte es fertig, zehn Abende hintereinander in einer fröhlichen Gesellschaft und bei ungewöhnlichen Gesprächen kein Wort zu sagen, obwohl er mit seinen Kinderaugen gespannt an den Sprechenden hing und lauschte. Er sah bildhübsch aus, sogar irgendwie gescheit. Der Fünfergruppe gehörte er nicht an; die Unsrigen vermuteten, er sei mit irgendwelchen besonderen, von irgendwem erteilten Aufträgen rein exekutiver Art betraut worden. Jetzt ist es bekannt, daß er mit keinerlei Aufträgen betraut war und seine eigene Lage wohl kaum richtig einschätzte. Er betete eben nur Pjotr Stepanowitsch an, dem er unlängst begegnet war. Wenn er einem frühreifen, verkommenen Monster begegnet wäre, das ihn unter dem Vorwand sozialromantischer Schwärmerei zur Gründung einer Räuberbande verleitet und befohlen hätte, den ersten besten Bauern zur Probe zu ermorden und zu berauben, wäre er selbstverständlich hingegangen und hätte gehorcht. Er hatte irgendwo eine kranke Mutter, der er die Hälfte seines spärlichen Solds schickte – wie wird sie diesen armen Blondschopf geküßt, wie wird sie für ihn gezittert und gebetet haben! Ich verbreite mich deshalb so ausführlich über ihn, weil er mich sehr dauert.
Die Unsrigen waren erregt. Die Ereignisse der letzten Nacht hatten sie sehr bestürzt und ihnen wohl Angst eingejagt. Der einfache, wenn auch systematische Skandal, an dem sie sich bis jetzt so eifrig beteiligt hatten, hatte einen für sie völlig unerwarteten Verlauf genommen. Die nächtliche Feuersbrunst, die Ermordung der Lebjadkins, die Ausschreitungen der Menge gegen Lisa – all das waren Überraschungen, die in ihrem Programm nicht vorgesehen waren. Hitzig beschuldigten sie die sie führende Hand des Despotismus und der Unaufrichtigkeit, kurz, sie steigerten sich, während sie auf Pjotr Stepanowitsch warteten, in eine solche Stimmung hinein, daß sie abermals endgültig beschlossen, von ihm eine kategorische Erklärung zu fordern und, sollte er ihnen diesmal wieder ausweichen, die Fünfergruppe sogar aufzulösen, allerdings mit der Absicht, einen neuen Geheimbund der »Ideenpropaganda« zu gründen, aber diesmal in eigener Regie und nach Prinzipien der Gleichberechtigung und Demokratie. Liputin, Schigaljow und der »Kenner des Volkes« setzten sich ganz besonders für diesen Vorschlag ein; Ljamschin enthielt sich einer Äußerung, aber mit zustimmender Miene. Wirginskij war unentschieden und wollte vorher Pjotr Stepanowitsch zu Wort kommen lassen. Es wurde
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