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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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den Revolver in die Tasche und stürzte, ohne ein weiteres Wort zu sagen, hinaus. Liputin folgte ihm. Sie krochen wie vorhin durch das Schlupfloch und gingen wieder über den abschüssigen Hang, wobei sie sich an dem Zaun festhielten. Pjotr Stepanowitsch rannte so schnell durch die Gasse, daß Liputin kaum mit ihm Schritt halten konnte. An der ersten Kreuzung blieb er plötzlich stehen.
    »Also?« Damit drehte er sich herausfordernd nach Liputin um.
    Liputin dachte an den Revolver und zitterte nach der eben erlebten Szene noch am ganzen Leib; aber die Antwort kam wie von selbst über seine Lippen:
    »Ich denke … ich denke, daß ›in Smolensk und in Taschkent erwartet niemand den Student‹.«
    »Haben Sie gesehen, was Fedjka in der Küche trank?«
    »Was er trank? Wodka trank er.«
    »Dann müssen Sie wissen, daß er zum letzten Mal in seinem Leben Wodka getrunken hat. Ich empfehle Ihnen, bei Ihren weiteren Überlegungen dies nicht zu vergessen. Aber jetzt scheren Sie sich zum Teufel, Sie werden bis morgen nicht gebraucht … Aber passen Sie auf, keine Dummheiten!«
    Liputin lief, so schnell ihn die Beine trugen, nach Hause.
    IV
    ER hatte sich schon vor langer Zeit vorsorglich einen Paß auf fremden Namen verschafft. Man kann es sich kaum vorstellen, aber dieses pedantische Männchen, dieser kleinliche Familientyrann, jedenfalls Beamter (obwohl Fourierist) und vor allem anderen Kapitalist, der Geld gegen Zins verlieh – war schon vor langer, langer Zeit auf die phantastische Idee verfallen, sich vorsorglich diesen Paß zu verschaffen, um mit seiner Hilfe ins Ausland zu entschlüpfen, falls … also hatte er doch die Möglichkeit eines solchen falls! für durchaus denkbar gehalten, obwohl er selbst niemals hätte formulieren können, was eigentlich dieses falls bedeuten könnte …
    Aber nun formulierte es sich plötzlich von selbst, und zwar in der unverhofftesten Weise; jene verwegene Idee, mit der er bei Kirillow eingetreten war, nach dem »Esel«, den er sich von Pjotr Stepanowitsch auf dem Trottoir hatte gefallen lassen müssen, bestand darin, gleich morgen in aller Frühe alles stehen- und liegenzulassen und zu emigrieren! Falls jemand bezweifeln sollte, daß solche unwahrscheinlichen Dinge in unserer alltäglichen Wirklichkeit auch heute noch geschehen, möge er nur in die Biographien sämtlicher heutigen russischen Emigranten Einsicht nehmen. Keiner von ihnen ist aus vernünftigeren und realistischeren Gründen ausgewandert. Überall diese schrankenlose Herrschaft von Phantomen – und weiter nichts.
    Zu Hause angelangt, fing er damit an, daß er sich einschloß, die Reisetasche hervorholte und in großer Hast zu packen begann. Seine Hauptsorge galt dem Geld und dem Problem, wieviel und wie er es retten könne. Jawohl, retten, denn nach seinen Vorstellungen durfte er nicht eine Stunde länger säumen und mußte bei Tagesanbruch sich bereits auf der Landstraße befinden. Er wußte ebensowenig, wie er in den Waggon einsteigen sollte; er nahm sich vor, vielleicht auf dem nächsten oder übernächsten Bahnhof einzusteigen, den er, falls nicht anders möglich, zu Fuß erreichen wollte. Auf diese Weise, instinktiv und rein mechanisch, mit einem wahren Sturm von Gedanken im Kopf, machte er sich mit seiner Reisetasche zu schaffen – bis er plötzlich innehielt, alles liegenließ und sich mit einem tiefen Stöhnen auf dem Diwan ausstreckte.
    Er hatte das deutliche Gefühl und wurde plötzlich sich dessen bewußt, daß er fliehen, daß er wirklich fliehen könne, daß er aber nicht mehr in der Lage sei, zu entscheiden: Sollte er vor oder nach Schatow fliehen; daß er nur noch ein plumper, gefühlloser Körper sei, eine träge Masse, aber von einer fremden, furchtbaren Kraft bewegt werde, und daß er, trotz eines Passes fürs Ausland, trotz der Möglichkeit, vor Schatow zu fliehen (weshalb hätte er sich sonst so beeilt?), nicht vor Schatow und auch nicht wegen Schatow, sondern nur nach Schatow fliehen würde und daß dies bereits beschlossen, verbrieft und besiegelt sei. In unerträglicher Qual, jede Sekunde zusammenfahrend und sich über sich selber wundernd, bald stöhnend, bald mit stockendem Atem, erwartete er, hinter der verschlossenen Tür auf dem Sofa liegend, den nächsten Vormittag, bis um elf Uhr plötzlich der von ihm ersehnte Anstoß erfolgte, der plötzlich seiner Entschlossenheit endgültig die Richtung gab. Um elf Uhr, als er seine Tür aufgeschlossen und sich zu seinen Hausgenossen gesellt

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